Seelenkuss
dem Verrückten hin. » Warum fragst du ihn nicht nach dem Weg? Er muss ihn kennen. «
Darejan schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus, bis sie sicher war, dass sie Nakeen nicht anschreien würde, ehe sie ihm antwortete. » Vielleicht begreifst du endlich, dass er verrückt ist.– Natürlich habe ich ihn gefragt. Er bekam einen seiner Anfälle und starrte danach nur noch dumpf vor sich hin. Er ist der Letzte, der mir sagen kann, wo diese verfluchte Ordensburg ist. «
» Und obwohl du noch nicht einmal weißt, in welche Richtung du gehen musst, schleppst du ihn in diesem Zustand quer durch Oreádon? « Nakeens Stimme klang, als wisse er nicht, ob er vielleicht auch an ihrem Verstand zweifeln solle.
Darum bemüht, ihren allmählich immer höher brodelnden Ärger im Zaum zu halten, griff sie nach dem Becher mit den Blauflechtenstängeln und schnupperte daran, ehe sie erklärte: » Ich weiß, in welche Richtung ich gehen muss. «
» Ach? Und woher? «
» Von einem Nekromanten in Kahel. Er sagte, die Ordensburg der DúnAnór befände sich an einem Ort mit dem Namen GônCaidur, der weit im Osten liegen solle. « Mit spitzen Fingern schickte sie sich an, die Blauflechtenstängel aus dem Becher zu fischen, hielt dann aber nachdenklich inne. » Kennst du die GônAdon? « , fragte sie nach einem Moment und schaute zu Nakeen hinüber.
» Die Weißen Berge? Natürlich. Sie liegen hinter dem WrenTedan, im Osten von… « Er verstummte und Darejan nickte, während sie den letzten Stängel von ihren Fingern schnippte, die Schale mit den Travankrautblättern ergriff und aufstand. » Du meinst, die Weiße Ebene könnte sich in der Nähe der GônAdon befinden? « Zweifelnd sah er zu ihr auf.
» Es wäre doch möglich, oder? Sie liegen im Osten. Die Ordensburg soll sich im Osten befinden, hinter einer › Weißen Ebene ‹ … «
» Und die Sonne geht im Osten auf. «
Verständnislos blickte sie ihn an.
» …reckt der CordánDún seine mächtigen Türme vor dem Sonnenaufgang… « , zitierte er anstelle einer Erklärung, und Darejan begriff, was er meinte.
» Es passt alles zusammen « , nickte sie erneut, ehe sie zu dem Verrückten hinüberging und sich neben ihn kniete. Nakeen erhob sich ebenfalls vom Feuer und folgte ihr.
Ohne ihn zu beachten, stellte sie den Blauflechtentee und die Schale mit dem Blättersanft neben den Verrückten auf den Boden. Dann beugte sie sich über ihn. Ein leiser, wimmernder Protestlaut drang aus seiner Kehle, als ihr Schatten auf sein Gesicht fiel, seine Lider bebten, hoben sich aber nicht. Unter beruhigendem Murmeln zog Darejan die Decke von seinen Schultern und entblößte seine Brust. Seine Finger zuckten zwischen den Blättern. Ihre Hoffnung, die aufgeschnittenen Travankrautblätter hätten vielleicht schon ein wenig gegen die Entzündung geholfen, schwand, als sie sie abhob und die Wunde darunter zum Vorschein kam. Sie war noch immer rot, heiß und geschwollen. Nakeen beugte sich über ihre Schulter. Die Atemzüge des Verrückten wurden hastiger, abgehackter.
» Geht es ihm besser? « Seine Frage ließ Darejan mit den Fingern in dem warmen, ausgelassenen Saft der Travankrautblätter innehalten und den Kopf schütteln. Nakeen stieß ein Zischen aus. » Wir können nicht ewig hierbleiben! « , beantwortete er ihren verständnislosen Blick.
» Weshalb? Du hast doch gesagt, dass du sie auf eine falsche Spur geführt hast. «
» Das habe ich. Aber vielleicht haben sie die richtige trotzdem wiedergefunden. Wir sollten es nicht darauf ankommen lassen und unseren Vorsprung nutzen, solange wir können. « Die Sonne blitzte in seinen Edelsteintätowierungen, als sein Blick rasch über die Felsen und Bäume wanderte, ehe er zu ihr zurückkehrte. » Und außerdem, Korun: Wir sind im WrenVarohn, dem Wald der Tränen. Es ist nicht klug, hier länger an einem Ort zu bleiben– vor allem nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Noch nie soll jemand eine Nacht hier mit gesundem Verstand überlebt haben. «
» Und dann bringst du uns hierher? « , entsetzt schnappte Darejan nach Luft. » Hast du nicht gewusst, dass… «
» Nein, habe ich nicht « , fuhr Nakeen ihr scharf dazwischen, ohne sie zu Ende sprechen zu lassen. » Hätte ich gewusst, dass er zu krank ist, um nach ein paar Stunden Ruhe weiterzureiten, hätte ich ein anderes Versteck gesucht– oder hätte euch zumindest nicht so tief in den WrenVarohn geführt. « Einen Moment maßen sie sich mit wütenden Blicken.
» Weißt
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