Seelenlos
intakt.
Hier, auf der zwölften Etage, gab es zwar umfangreiche Rauch-und Wasserschäden, aber ich stieß auf nichts, was von Flammen verzehrt oder auch nur angesengt war. Der Teppichboden war mit Ruß und Dreck bedeckt, die Tapeten waren fleckig und schälten sich von der Wand. Einige der Deckenlampen waren heruntergestürzt, sodass ich auf scharfe Scherben achten musste.
Durch eines der Fenster war offenbar ein Wüstengeier hereingeflogen und dann nicht in der Lage gewesen, wieder hinauszufinden. Hektisch herumflatternd, hatte er sich irgendwo an der Wand einen Flügel gebrochen. Nun lag sein makabrer Kadaver mit zerzausten Schwingen mitten im Korridor, nur halb verwest, bevor er in der Hitze ausgetrocknet war.
Auch wenn der zwölfte Stock sich, verglichen mit manchen anderen Etagen, in einem relativ guten Zustand befand, hätte man dort nicht den nächsten Urlaub verbringen mögen.
Vorsichtig schlich ich mich von einem Zimmer zum anderen und spähte hinein. Nirgendwo eine Menschenseele.
Das Erdbeben hatte gewaltsam die Möbel umgeräumt. Sie waren umgekippt und in jedem Zimmer an dasselbe Ende gerutscht. Alles war verschmutzt, angeknackst und nicht wert, geborgen zu werden.
Hinter jenen Fenstern, deren Scheiben herausgebrochen oder frei von Ruß waren, sah ich am niedrigen Himmel ein Geschwür aus Gewitterwolken. Gesundes Blau hielt sich nur noch im Süden und war selbst da am Verschwinden.
Um geschlossene Türen kümmerte ich mich nicht. Hätte ich eine aufgemacht, so hätten mich das Scharren des verrosteten Knaufs und das Quietschen der Angeln verraten. Außerdem
waren sie weder weiß noch paneeliert wie die tödlichen Türen meines Traums.
Auf halbem Weg zwischen den Aufzügen und der Einmündung des hinteren Korridors kam ich zu einer geschlossenen Tür, an der ich nicht vorbeigehen konnte. Ziffern aus angelaufenem Metall informierten darüber, dass es sich um Zimmer 1242 handelte. Wie von den unsichtbaren Fäden eines Marionettenspielers geleitet, griff meine rechte Hand nach dem Knauf.
Ich hielt mich lange genug zurück, um den Kopf an den Türpfosten lehnen und lauschen zu können. Nichts.
An einer Tür zu lauschen ist immer Zeitvergeudung. Man lauscht und lauscht, und wenn man davon überzeugt ist, dass keine Gefahr droht, und die Tür öffnet, hält einem ein Typ mit einer gruseligen Tätowierung an der Stirn einen riesigen Revolver unter die Nase. Das ist fast so sicher wie die drei Gesetze der Thermodynamik.
Als ich die Tür behutsam aufdrückte, traf ich erstaunlicherweise doch nicht auf einen tätowierten Gorilla. Für die Thermodynamik verhieß das nichts Gutes. Wahrscheinlich würde bald überall die Schwerkraft versagen.
Wie anderswo hatte das Erdbeben auch hier die Möbel umgestellt, alles an ein Ende des Zimmers geschoben und dort das Bett auf zwei Sessel und eine Kommode gehievt. Um sicherzustellen, dass darunter keine Opfer lagen, tot oder lebendig, hatte man bestimmt Spürhunde einsetzen müssen.
Es gab nur einen Unterschied. Ein einzelner Sessel war von dem Haufen Sperrmüll geholt und in der vom Erdbeben freigeräumten Zimmerhälfte aufgestellt worden. Auf diesem Sessel saß Danny Jessup, mit Isolierband gefesselt.
28
So reglos und bleich, wie Danny mit geschlossenen Augen dasaß, wirkte er wie tot. Nur eine pulsierende Vene an seiner Schläfe und die Spannung in seinen Kiefermuskeln verrieten, dass er am Leben war – und große Furcht hatte.
Er ähnelt ein wenig dem Schauspieler Robert Downey jr., allerdings ohne den glamourösen Touch der Drogensucht, die ihn im heutigen Hollywood zum Star gemacht hätte.
Von seinem Gesicht abgesehen, hat er keinerlei Ähnlichkeit mit einem Schauspieler zu bieten. Vor allem besitzt Danny wesentlich mehr Grips als jeder Filmstar der letzten paar Jahrzehnte.
Seine linke Schulter ist durch übermäßiges Knochenwachstum nach einem Bruch ein wenig missgestaltet. Der dazugehörige Arm weist bis zum Handgelenk hinab eine unnatürliche Drehung auf, sodass er nicht senkrecht herunterhängt. Auch die Hand dreht sich vom Körper weg.
Dannys linke Hüfte ist deformiert. Das rechte Bein ist kürzer als das linke. Das rechte Schienbein hat sich im Laufe eines Heilungsvorgangs verdickt und gebogen. Der rechte Knöchel enthält so viel überschüssige Knochenmasse, dass er nur zu vierzig Prozent funktioniert.
Gekleidet in Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit einem gelben Blitzstrahl auf der Brust, saß er gefesselt auf einem Hotelsessel, als stammte
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