Seelenlos
anstrengend gewesen war, sondern weil ich dabei ständig unter extremer Anspannung gestanden hatte. Selbst meine Kiefer schmerzten, weil ich andauernd mit den Zähnen geknirscht hatte.
Es war zu gefährlich, im Dunkeln aus dem Schacht in den Flur zu steigen. Auf jeden Fall brauchte ich Licht, um die Handgriffe und Fußstützen zu lokalisieren, mit deren Hilfe ich von der Leiter auf festen Boden gelangte.
Ich schaltete die Lampe kurz an, studiert die Lage und schaltete gleich wieder aus.
Obwohl ich mir die Hände mehrfach an meinen Jeans abgewischt hatte, waren sie glitschig vor Schweiß.
Egal, wie bereit ich auch sein mag, Stormy im »Dienst« wiederzusehen, Nerven aus Stahl habe ich nicht. Hätte ich keine Turnschuhe, sondern Stiefel getragen, dann hätten mir darin die Füße gezittert.
Ich griff in die bedrohliche Finsternis und ortete den ersten Handgriff, der wie ein in die Wand versenkter Toilettenpapierhalter
geformt war, nur dreimal so breit. Während ich ihn mit der rechten Hand umklammerte, dachte ich wehmütig an meine Tage am Grill und an der Fritteuse, dann griff ich auch mit der linken Hand zu und trat von der Leiter.
Einen Moment lang hing ich an meinen schweißigen Händen und suchte mit den Füßen nach den Stützen. Als ich schon Angst hatte, sie nie zu finden, gelang es mir doch noch.
Nun, da ich die Leiter verlassen hatte, kam diese Aktion mir völlig irrsinnig vor.
Die Aufzugkabine befand sich im tieferen der beiden Untergeschosse, vierzehn Stockwerke unter mir. So tief zu fallen, wäre schon bei Licht äußerst unangenehm gewesen, es jedoch in völliger Finsternis zu tun, jagte mir noch mehr Angst ein.
Ich hatte weder einen Klettergurt noch einen robusten Karabinerhaken, um mich am Handgriff zu sichern. Ein Fallschirm war ebenfalls nicht vorhanden. Ich hatte mich auf lupenreines Freiklettern eingelassen.
Unter den Gegenständen in meinem Rucksack befanden sich Papiertaschentücher, zwei Energieriegel mit Kokosgeschmack und in Folie verpackte Feuchttücher mit Zitronenduft. Als ich den Rucksack gepackt hatte, waren mir meine Prioritäten völlig logisch vorgekommen.
Wenn ich vierzehn Stockwerke tief aufs Dach der Aufzugkabine stürzte, konnte ich mir wenigstens die Nase schnäuzen, einen letzten Imbiss einnehmen und mir anschließend die Hände reinigen. So konnte ich in Würde sterben: ohne Rotznase und klebrige Finger.
Genug nachgedacht. Ich nahm allen Mut zusammen und schwang mich durch die offene Aufzugtür in den Flur, völlig im Bann der magnetischen Kraft, gegen die ich mich nicht wehren konnte.
Erleichtert, dass ich keine gähnende Leere mehr im Rücken hatte, lehnte ich mich an die Wand und wartete, bis meine klammen Handflächen nicht mehr schwitzten und mein Herz nicht mehr hämmerte. Dabei beugte und streckte ich mehrmals den linken Arm, um den Bizeps von einem leichten Krampf zu befreien.
Jenseits der Aufzugnische drang von Norden wie Süden her wässrig graues Licht in den Hotelkorridor.
Keinerlei Stimmen. Ihrem Verhalten am Telefon nach zu urteilen, war die mysteriöse Frau ziemlich geschwätzig. Jedenfalls hörte sie sich unheimlich gerne reden.
Als ich mich zum Ende der Nische vorgeschoben hatte und vorsichtig um die Ecke schielte, sah ich einen langen, verlassenen Flur. Hier und da fiel durch die offenen Türen der Gästezimmer Tageslicht herein, wie ich es erwartet hatte.
Der Grundriss des Hotels sah aus wie eine Hantel. An den Enden des Hauptflurs kam also je ein Flügel mit weiteren Zimmern. Dort führten die bewachten Treppen herauf, die ich gemieden hatte.
Andere Leute hätten sich überlegen müssen, ob sie nach links oder rechts gehen sollten. Ich brauchte das nicht. Mein sechster Sinn, der hier wesentlich eindeutiger war als auf meinem Weg durch die Kanäle, zog mich nach rechts, nach Süden.
Vom Fundament bis zum obersten Stock war das Hotel aus Stahlbeton errichtet. Das Feuer hatte nicht heftig genug gebrannt, um die Struktur zu verbiegen, geschweige denn einstürzen zu lassen.
Stattdessen hatten die Flammen sich durch die Schächte für die Wasserrohre und die elektrischen Leitungen nach oben gefressen. Den Konstruktionszeichnungen gemäß hätte diese unsichtbare Infrastruktur feuerfest ausgekleidet und mit Sprinklern versehen werden sollen, doch das war nur zu etwa sechzig Prozent geschehen.
Aus diesem Grund war die Zerstörung äußerst unregelmäßig. Manche Stockwerke waren praktisch ausgebrannt, andere hingegen noch einigermaßen
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