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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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ihrem Onkel geerbt hat. Außerdem hat er ihr ein Tagebuch hinterlassen, in dem er beschreibt, wie er neunzehn Kinder ermordet und sie im Keller vergraben hat. Er wusste, dass sie ihn verstehen und sich auch nach seinem Tod nicht dazu hinreißen lassen würde, seine Verbrechen der Polizei zu melden. Zweifellos hast du sie mehr als einmal aufgesucht.«
    »Ich reise nicht«, sagte ich.
    »Ich war schon mehrere Male eingeladen. Wenn die Planetenstellung stimmt und die Gäste das richtige Kaliber haben, dann kann man die Stimmen der Toten aus ihren Gräbern im Boden und in den Wänden sprechen hören. Verlorene Kinder, die um ihr Leben flehen, als wüssten sie nicht, dass sie tot sind. Es ist eine berauschende Erfahrung, wie du wohl weißt.«
    André stand da und blickte ins Unwetter, Robert saß da und starrte in die Kerzen. Vielleicht waren sie von Daturas eigentümlicher Stimme wie gebannt. Keiner der beiden hatte auch nur ein Wort gesprochen. Sie waren ungewöhnlich schweigsame Männer und dazu unheimlich ruhig.
    Datura trat zu meinem Stuhl, beugte sich zu mir und zog einen Anhänger aus ihrem üppigen Dekolleté. Es war ein tränenförmiger
Stein, rot, vielleicht ein Rubin, so groß wie ein Pfirsichkern.
    »Darin habe ich dreißig gefangen«, sagte sie.
    »Das hast du mir schon am Telefon erzählt. Dreißig … dreißig von irgendwelchen Dingern in einem Amulett.«
    »Du weißt schon, was ich gesagt hab. Dreißig Ti-bon-ange .«
    »Das dürfte eine Weile gedauert haben, so viele zu sammeln. «
    »Du kannst sie da drin sehen«, sagte sie und hielt mir den Stein vor die Augen. »Andere können das nicht, aber du bestimmt. «
    »Hübsche kleine Dinger«, sagte ich.
    »Schon möglich, dass die meisten Leute dir dein vorgetäuschtes Unwissen abnehmen, aber mich hältst du nicht zum Narren. Mit dreißig bin ich unbesiegbar.«
    »Das hast du mir schon mal gesagt. Es ist bestimmt äußerst beruhigend, unbesiegbar zu sein.«
    »Ich brauche nur noch einen weiteren Ti-bon-ange , und der muss etwas Besonderes sein. Das heißt, es muss deiner sein.«
    »Ich fühle mich geschmeichelt.«
    »Wie du weißt, kann ich ihn mir auf zwei Arten aneignen«, sagte sie, steckte sich den Stein wieder zwischen die Brüste und füllte ihr Weinglas auf. »Ich kann ihn dir mit einem Wasserritual abnehmen. Das ist die schmerzlose Extraktionsmethode.«
    »Ich bin erleichtert.«
    »Oder André und Robert können dich zwingen, den Stein zu schlucken. Dann kann ich dich aufschlitzen wie einen Fisch und dir den Ange aus den dampfenden Eingeweiden holen, während du stirbst.«
    Falls ihre zwei Pferde den Vorschlag gehört hatten, überraschte er sie nicht. Sie blieben so reglos wie zusammengerollte Schlangen.

    Datura ergriff ihr Glas und trat zu den Rosen. »Wenn du mir Geister zeigst, nehme ich dir deinen Ti-bon-ange auf die schmerzlose Weise. Aber wenn du dabei bleibst, den Dummkopf zu spielen, dann wird dies ein sehr unangenehmer Tag für dich. Du wirst Todesqualen erleiden, wie nur wenige Menschen sie je erfahren haben.«

33
    Die Welt ist verrückt geworden. Noch vor zwanzig Jahren hätte man diese Behauptung bestreiten können, aber wenn man das jetzt tut, beweist man damit nur, dass man sich ebenfalls einer Wahnvorstellung hingibt.
    In einer Welt, in der es zugeht wie im Irrenhaus, steigen Leute wie Datura – die Crème de la Crème der Wahnsinnigen – an die Spitze. Das tun sie nicht durch irgendwelche Verdienste, sondern durch ihre Willenskraft.
    Wenn bestimmte Strömungen in der Gesellschaft die Ablehnung uralter Wahrheiten fordern, dann suchen jene, die darauf eingehen, ihre eigene Wahrheit. Um echte Wahrheit wird es sich dabei nur selten handeln, sondern eher um ein Konglomerat aus persönlichen Vorlieben und Vorurteilen.
    Je weniger Tiefe ein Glaubenssystem besitzt, desto größer ist die Inbrunst, mit der seine Anhänger es vertreten. Am lautesten und fanatischsten sind jene, deren zusammengeschusterter Glaube auf dem wackligsten Fundament steht.
    In diesem Sinne kam ich damals im Hotel zu folgendem Schluss: Eine Frau, die sich jemandes Ti-bon-ange – was immer das sein mochte – aneignen wollte, indem sie ihn zwang, einen Edelstein zu schlucken, um ihn anschließend aufzuschlitzen und ihm den Stein wieder aus dem Bauch zu holen, war nicht nur fanatisch, sondern auch psychisch äußerst labil und überdies völlig ungeeignet, um an der Kür zur »Miss America« teilzunehmen,
selbst wenn sie sonst recht gute Voraussetzungen dafür

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