Seelenmoerder
vernichtend, als hätte er gebrüllt.
»Ist nicht wahr, Mann.« McElroy funkelte Ryne an. »Sie ist nicht mal ein Cop?«
»Wenn du ein Profil willst, hättest du bloß fragen müssen.« Cantrell lächelte eisig. »Weißer Mann zwischen zwanzig und vierzig. Geringfügig beschäftigt. Schon mal wegen Gewalt gegen Frauen aufgefallen. Ist das nicht ungefähr das, was ihr Experten euch immer so ausdenkt?«
»Kommt auf die Beweislage an«, erwiderte sie gelassen. »Und aufs Tatmuster. Aber es ist noch zu früh, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Bis jetzt steht noch nicht einmal fest, dass der Vergewaltiger ein Mann ist.«
McElroy lachte schallend los, und Ryne sah ihn strafend
an. »Ich glaube, Ms Phillips will damit sagen …« Er verstummte.
»Ich will damit sagen, dass es zu früh ist, um unseren Blickwinkel einzuengen. Wahrscheinlich ist es ein Mann. Mehr als neunundneunzig Prozent aller Vergewaltiger sind Männer. Aber der hier macht die Opfer benommen und zieht sich nie aus. Angesichts der nebulösen Erinnerungen der Opfer bin ich noch nicht bereit, irgendjemanden auszuschließen.«
»Dann wissen wir ja, was Robel heute macht«, sagte McElroy in lautem Theaterflüstern zu Cantrell. »Er macht sich auf die Suche nach den gefährlichen weiblichen Vergewaltigern, die überall in Georgia ihr Unwesen treiben. Hat der ein Glück.«
Angesichts des Gelächters der Detectives fiel es Abbie schwer, ihr Lächeln beizubehalten. »Ich habe in den letzten fünf Jahren an über zwanzig Fällen von Serienvergewaltigern gearbeitet. Weibliche Täter sind selten, aber ich schließe nichts aus, bis die Beweislage es zulässt. Verallgemeinerungen sind gefährlich, weil sie uns für andere Möglichkeiten blind machen.«
»Okay, dann mal an die Arbeit.« Auf Rynes Anweisung hin standen alle auf, Captain Brown eingeschlossen. »Wenn ihr auf irgendetwas Vielversprechendes stoßt, will ich es wissen.«
Die Detectives gingen im Gänsemarsch hinaus.
»Ms Phillips.« Brown baute sich vor ihr auf und streckte die Hand aus. »Captain Dennis Brown. Ich möchte Sie in Savannah und im Team willkommen heißen.« Sein Griff war fest, sein blassblauer Blick forschend. »Bestimmt wird Ryne Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen, aber falls ich irgendetwas tun kann, mein Büro ist oben.«
»Danke. Ich freue mich schon darauf anzufangen.«
Brown neigte den Kopf und folgte den anderen nach draußen. Nachdenklich sah Abbie ihm nach. Es war immer vielsagend, die Dynamik der Gruppen aufzuschlüsseln, mit denen sie arbeitete. Und in diesen paar Augenblicken hatte sie das untrügliche Gefühl beschlichen, dass Brown nicht erbauter darüber war, sie hierzuhaben, als Robel.
»Ich habe einen zusätzlichen Schreibtisch aufstellen lassen, direkt neben meinem.« Der Detective sammelte seine Unterlagen zusammen, ehe er sich rasch wieder aufrichtete. »Das ist dann für Ihre Zeit hier Ihr Arbeitsplatz.«
Direkt neben seinem. Toll. »Danke.«
»Das glauben Sie aber nicht wirklich, oder?« Er passte sich ihrem Tempo an und sprach in unverhohlen skeptischem Tonfall. »Das, was Sie da gesagt haben über Frauen, die Frauen vergewaltigen. Ich meine … im Ernst.«
Sie unterdrückte ein Seufzen. Natürlich hatte er völlig missverstanden, was sie damit hatte ausdrücken wollen. »Es ist eine entfernte Möglichkeit. Aber möglich ist es, bis wir etwas anderes bewiesen haben.«
»Sie glauben wirklich, dieser Täter, der in Savannah sein Unwesen treibt, könnte eine Frau sein?«
»Nein.« Sie drängte sich an ihm vorbei und machte sich auf die Suche nach ihrem Schreibtisch. »Ich glaube, er ist ein perverser Sadist – ein männlicher Sadist -, der seine Befriedigung darin findet, seine Opfer grauenhaft zu foltern und hinterher wochenlang darin zu schwelgen. Wir haben nur noch nicht genug Beweise, um ihn zu fassen. Aber dafür werde ich schließlich bezahlt, also werde ich ihn fassen.«
Es war schon fast dunkel, als Abbie zu Hause eintraf. Wenn sie im Einsatz war, gab es nur wenige Ablenkungen, und so arbeitete sie meist bis in den Abend hinein. Falls sie allerdings länger hierbleiben musste, brauchte sie ein Fitnessstudio,
in dem sie trainieren konnte. Sie nahm sich vor, Robel am nächsten Tag danach zu fragen.
Robel. Sie parkte den Mietwagen in der Einfahrt, stieg aus und schloss ihn mit dem Funkschlüssel ab. Robels Haltung gegenüber ihrem Einsatz bei der Sonderkommission hatte sich nicht wesentlich gebessert, doch sie hatte schon ganze Fälle
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