Seelenmoerder
Zeit, um das nächste Opfer auszusuchen.
Selbst wenn dieses Mal ein kleiner Ausrutscher passiert war, hatte die Polizei nach wie vor nichts in der Hand. Wahrscheinlich kontrollierten sie deshalb mittlerweile, was an die Presse herausgegeben wurde. Wenn öffentlich bekannt wäre, wie sehr sie in diesem Fall auf der Stelle traten, wäre das Geschrei groß.
Geschrei. Das Wort löste ein unwillkürliches Lachen aus, dann die Erinnerung an Barbara.
Doch es war nie zu früh, Vorbereitungen zu treffen. Das Mobiltelefon lag neben dem Computer. Nach langem Warten meldete sich unter der vertrauten Nummer endlich eine verschlafene Stimme.
»Hey, ich wollte dich sowieso morgen anrufen. Wo bist du?«
»Ich brauche Nachschub. Wie schnell kannst du mir was schicken?«
»Meine kleine Entdeckung macht dir wirklich Freude, was?«
Die Erregung wurde intensiver, als sich die Frau auf dem Bildschirm vor Schmerzen wand. Oh, das Spekulum im Anus hatte ihr nicht gefallen. Überhaupt nicht. »Ja, sehr. Aber ich brauche doppelt so viel wie letztes Mal.«
»Mann, ich kann dir dreimal so viel geben.« Erwartungsvolles Schweigen trat ein. »Aber zuerst musst du etwas für mich tun.«
Der aufwallende Ärger wurde rasch erstickt. »Schon wieder?«
»Sie hat nicht so lange durchgehalten, wie ich gehofft hatte. Mit der Nächsten bin ich vorsichtiger. Versprochen.«
Finger trommelten unentschlossen auf die Tischplatte. Damit würde ein rascher Hin- und Rückflug erforderlich, doch es war machbar. »Na gut. Männlich oder weiblich diesmal?«
»Hmm, wie wär’s mit einer Überraschung?«
Eines Tages würde den Mann trotz ihrer langen Bekanntschaft eine echte und sehr endgültige Überraschung erwarten. Er wurde langsam ein bisschen unverschämt in seinen Forderungen. Doch noch wurde er gebraucht. »Du kannst noch diese Woche mit deinem Geschenk rechnen.«
»Schnelle Arbeit. Ich bin beeindruckt.« Er klang erfreut. »Ich schicke dir deine Bestellung bis morgen. Selbe Briefkastenadresse?«
»Ja.« Das Geschäftliche war erledigt, und das Gespräch wurde beendet. Es war lästig, die Planung ändern und Reisevorbereitungen treffen zu müssen, doch die großzügigen
Drogen- und Spritzenlieferungen waren es wert. Völlig anonym. Und nicht zurückzuverfolgen.
Mehrere Klicks mit der Computermaus spulten den Film vorwärts und stoppten ihn genau an der besten Stelle. Der Moment, in dem die Frau begriff, dass ihr Leiden noch nicht zu Ende war. Dass noch mehr auf sie wartete.
Das nackte Entsetzen auf ihrer Miene zu sehen war beinahe so aufregend wie die Tat selbst. Beinahe. Ja, die Billings war fast perfekt gewesen.
Doch die Nächste würde sie sogar noch übertreffen.
Ryne stützte das Kinn auf seine auf dem Küchentisch verschränkten Arme und musterte die zwei Fingerbreit Jim Beam in dem vor ihm stehenden Glas. Die Erinnerung, diese hinterlistige Schlange, versorgte ihn mit lebhaften Sinneseindrücken. Fast schmeckte er, wie ihm der Whiskey sengend durch die Kehle rann. Spürte das Brennen, als er sich in seinem Magen sammelte. Erinnerte sich an den Drang, auf das erste Glas ein zweites folgen zu lassen. Und noch eines.
In den Klauen dieses Dursts war es leicht, die Folgen zu vieler langer Nächte und zu vieler leerer Flaschen zu vergessen. Leicht, sich hinter den Rationalisierungen zu verschanzen, die ihn fast davon überzeugten, dass die Ereignisse vor anderthalb Jahren nicht seine Schuld gewesen waren. Dass Deborah Hannas Blut nicht an seinen Händen klebte, als hätte er selbst den Abzug gedrückt.
Doch mit klarem Kopf konnte er der Wahrheit nicht ausweichen, und manchmal, mitten in einem schwierigen Fall oder nach einem besonders anstrengenden Tag, sprang sie ihn noch nach achtzehn Monaten Abstinenz mit der barbarischen Gewalt eines wilden Tieres an.
Irgendwann würde die Wahrheit ihn auffressen.
Aber nicht heute Nacht. Sein Mobiltelefon klingelte gellend
los und durchbrach seine finsteren Gedanken. Er zog es aus der Jacke, die über der Stuhllehne hing, und las die Nummer auf dem Display. Dixons Privatnummer.
Ryne sah auf die Uhr und klappte gleichzeitig das Telefon auf. Fast ein Uhr morgens. Dixon hatte garantiert keine Neuigkeiten über den Fall. Obwohl er darauf bestanden hatte, persönlich mit einbezogen zu werden, führte er lediglich eine Art Oberaufsicht.
»Hier Robel.«
Nachdem er sich gemeldet hatte, hörte er erst einmal nichts, bevor am anderen Ende gesprochen wurde. »Ryne? Habe ich Sie geweckt?«
Ihm
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