Seelenmoerder
war weit und breit kein Mensch. Manche Familien verbringen zwar im Lauf des Jahres gelegentlich mal ein Wochenende hier, doch die Sommersaison beginnt normalerweise erst mit dem Memorial Day Ende Mai.«
»Im Protokoll hieß es, sie sei geknebelt gewesen, aber so
vorsichtig, wie er ans Werk geht, kann ich kaum glauben, dass er es gewagt hätte, das Fenster während der Vergewaltigung zu öffnen.«
»Vielleicht hat er ein Geräusch gehört und wollte der Sache auf den Grund gehen. Oder er wollte sich vorsichtshalber mehrere Fluchtwege offenhalten und hat den hier vergessen, als er ging. Was auch immer seine Gründe gewesen sein mögen, es war bis vor ein paar Tagen einer seiner wenigen Fehler. Das offene Fenster hat den Wachmann misstrauisch gemacht, als er gegen drei Uhr morgens seine Runde gedreht hat. Um Mitternacht war es nämlich noch nicht offen gewesen. Er hat das Opfer gefunden und ärztliche Hilfe gerufen.«
Ärztliche Hilfe, die Amanda Richards am Leben erhalten hatte. Ihre Verletzungen waren lebensgefährlich gewesen, und sie hatte eine Menge Blut verloren. Abbie kam ein Gedanke, und sie begann ihn zu äußern, doch Ryne war gar nicht mehr da.
Sie schloss den Mund und ließ den Rest ihrer Überlegungen unausgesprochen, während sie ihm durchs Haus folgte. Die Idee war ohnehin eine reine Vermutung, und sie begründete ihr Profil, ihre Anregungen, stets auf Fakten. Darauf beruhte ihr berufliches Renommee.
Doch wenn sie sich auf ihren Instinkt verließ, fragte sie sich, ob der Vergewaltiger nicht einen anderen Grund gehabt hatte, das Fenster offen zu lassen. Etwas, was weder mit Vergesslichkeit noch einem Fluchtweg zu tun hatte.
Wie zum Beispiel dafür zu sorgen, dass Amanda Richards überlebte.
»Das war nichts als Zeitverschwendung.« Nick McElroy fläzte sich in den Beifahrersitz des Zivilfahrzeugs, während Wayne Cantrell losfuhr. »Was glaubt Robel eigentlich, wie
viele Nutten wir am helllichten Tag auf der Straße auftreiben?«
»Ein paar Namen haben wir ja.« Wayne warf ihm einen Blick zu. »Und außerdem wissen wir ganz gut, wohin man gehen muss, um Mädchen zu finden.«
»Ja, jetzt haben wir die Namen von Freiern, die gern ein bisschen brutal werden. Und von ein paar Zuhältern, denen die Hand ausrutscht, wenn ihre Pferdchen nicht fleißig genug schuften.«
»Vielleicht sollten wir uns auf Prostituierte konzentrieren, die sich spezialisiert haben.«
McElroy warf ihm ein träges Grinsen zu. »Hast du Vorlieben, für die du was Spezielles brauchst, Cantrell? Dann können wir dir zum Geburtstag vielleicht eine besorgen, die dich im Lendenschurz auspeitscht. Sie könnte die Squaw spielen und du den edlen Wilden.«
»Leck mich«, entgegnete Cantrell ohne Groll. Es war sinnlos, seine Energie damit zu vergeuden, dass man sich über McElroy ärgerte. Der Mann hatte ein Mundwerk wie eine Dreschmaschine und dachte immer nur an das Eine. Cantrell war froh, dass sie nur im Rahmen dieser Ermittlungen zusammenarbeiten mussten.
»Dich lecken? Ich steh nicht auf so was, aber mach dir keine Sorgen.« McElroy beugte sich hinüber und tätschelte ihm die Wange. »Wir finden genau das richtige Mädchen für dich.« Cantrell zuckte zurück und beschleunigte, um an einer gelben Ampel noch rechts abbiegen zu können.
»Wo willst du denn hin? Es ist sowieso schon nach Feierabend. Und wir müssen unsere Notizen von heute noch abtippen.«
»Wir könnten doch mal bei Mistress Chan anklopfen«, meinte Wayne lakonisch und ohne den Blick vom Verkehr abzuwenden. »Ihr Name ist heute ein paarmal im Zusammenhang
mit S&M-Kreisen erwähnt worden. Der Phillips zufolge könnte sie der Typ sein, der mit unserem Täter Rollenspielchen veranstaltet.«
»Die Phillips«, zischte McElroy verächtlich und verschränkte die Arme. »Als ob die zu unseren Ermittlungen irgendwas beitragen könnte. Die ist doch nur ein kleines Mädchen mit ein paar hochgestochenen Buchstaben hinter dem Namen. Sie ist kein Cop.«
»Aber wir sind Cops. Und wir machen unsere Arbeit.« Wayne verlangsamte das Tempo und las die Hausnummern an den umstehenden Gebäuden. Die einigermaßen seriöse Straße war gesäumt von Geschäften verschiedenster Branchen. Metzgereien grenzten an Boutiquen und Friseursalons und eine ganze Reihe weiterer Läden. Doch darüber befanden sich Wohnungen.
»Sparen wir uns das. Überlass die Chan den uniformierten Kollegen. Haben wahrscheinlich noch einen Heidenspaß dabei.«
»Wir sind schon da. Warum nicht gleich
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