Seelenmoerder
auftauchst.«
Er faltete die Pizzaschachtel zusammen und stopfte sie in den Mülleimer. »Wenn ich angerufen hätte, hättest du dann gesagt, ich soll vorbeikommen?«
»Was glaubst du denn?«
»Ich glaube, dass ich genau deswegen nicht angerufen habe.« Er nickte in Richtung der Tür. »Aber ich wollte deine Schwester nicht vertreiben.«
»Callie macht ohnehin nur, was sie will. Bestimmt hatte sie etwas vor.«
Er musterte sie ruhig, doch als sie nicht weitersprach, ergriff er erneut das Wort. »Sie lügt dich an, weißt du«, sagte er. »Sie ist seit mindestens einer Woche in Savannah, vielleicht auch schon viel länger. Der Typ ist letzten Montag erstochen worden. Und sie hat behauptet, am Flughafen Savannah hätte es keine Schwierigkeiten gegeben. Dabei wird dort schon seit Monaten renoviert. Du bist doch selbst dort angekommen, oder? Es ist das totale Chaos. Ich habe
noch niemanden getroffen, der ohne zu schimpfen vom Flughafen berichtet hätte.«
Sie lächelte humorlos. »Dann lügt sie eben. Glaubst du etwa, das ist mir neu? So ist sie einfach. Es hat nichts zu bedeuten.«
Da war er nicht so sicher. »Hatte sie Gelegenheit, sich hier umzusehen? Sie wusste nämlich, dass es nur ein Schlafzimmer gibt.«
Sie verzog keine Miene. »Und?«
»Und? Vielleicht wusste sie es, weil sie schon einmal hier war. Weil sie es war, die hier eingebrochen ist.«
Abbie ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und lehnte sich dagegen. »Um darauf zu kommen, muss man kein Supercop sein. Noch was?«
Er kniff die Augen zusammen und überlegte, ob sie sich absichtlich dumm stellte. »Hast du sie nach dem Einbruch gefragt? Und nach dem Backstein?«
»Nein. Callie zur Rede zu stellen ist der ungeeignetste Weg, um etwas herauszufinden. Mir war mehr daran gelegen, ihre … Stimmung auszuloten.«
Ihr abweisender Tonfall machte unmissverständlich klar, dass sie zu diesem Thema nicht mehr sagen würde. Obwohl ihn das frustrierte, meldete sich sofort wieder die Besorgnis. »Aber pass auf dich auf, ja?«
Abbie starrte ihn an. »Warum bist du gekommen, Ryne?«
Das hätte er sich selbst auch schon fragen sollen. Schließlich hätte er getrost bis zum nächsten Morgen warten können, bis er ihr von Dixons Enthüllung berichtete. Oder er hätte anrufen und die Sache am Telefon mit ihr besprechen können.
Der Griff zum Whiskeyglas war heute Abend also nicht sein einziger Fehltritt gewesen.
»Als du schon weg warst, hat sich etwas Neues ergeben,
was ich mit dir besprechen möchte.« In kurzen Worten fasste er sein Gespräch mit Dixon zusammen oder zumindest den Teil, in dem es um Karen Larsen und die toxikologische Untersuchung ging. Abbie machte große Augen, ehe ihre Miene nachdenklich wurde.
»Du hast erwähnt, dass du dir sämtliche Protokolle über andere aktenkundige Vergewaltigungen im Lauf des letzten Jahres angesehen hast.«
Er nickte grimmig. »Aber nichts ähnelte auch nur ansatzweise den Einzelheiten in diesem Fall. Außerdem hätte ich damit gerechnet, dass der Rummel um diese Ermittlungen alle Opfer, von denen wir noch nichts wissen, aus der Reserve locken würde.«
»Sie hat es also nicht angezeigt. Warum?« Abbie wandte sich um, ging eilig ins Wohnzimmer und überließ es ihm, ihr zu folgen. Mitten im Raum blieb er stehen, als er das Diagramm sah, das sie über den Schreibtisch gehängt hatte.
Es ähnelte den Falldiagrammen, die er im Revier anlegte, um Indizien, Spuren, Tatzeitpunkte und -orte und dergleichen festzuhalten. Doch unter einer Zeitkoordinate, die oben quer über das ganze Blatt verlief, bestand Abbies Diagramm aus einem großen Raster mit den Namen der Opfer auf der linken Seite und Angaben über ihren Hintergrund in den Spalten daneben. Wohnumfeld, Religion, Einkaufsgewohnheiten, Beruf und Bekannte – akkurat hatte sie jedes Detail aus den Vernehmungen der Opfer in Kästchen eingetragen.
Er kam näher und betrachtete es genauer. Statt der bunten Stecknadeln, die er am liebsten benutzte, hatte Abbie die Opfer mit verschiedenfarbigen Fäden mit den zugehörigen Daten in jeder Spalte verbunden. Er erkannte auf der Stelle, was sie dadurch sichtbar gemacht hatte: Es gab niederschmetternd wenige Überschneidungen.
Abgesehen natürlich von der letzten Spalte. Jedes der Opfer besaß einen Eintrag unter »früheres Trauma«.
Er rammte die Hände in die Hosentaschen. »Sie nennen ihn mittlerweile den Alptraum-Vergewaltiger, weißt du. In der Presse.«
Sie verzog das Gesicht. »Es war ja zu erwarten,
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