Seelenmoerder
… Ich wundere mich immer wieder, was die Leute alles bereitwillig ins Netz stellen, damit Wildfremde es lesen können.«
»Dem sind wir bezüglich der Richards schon erschöpfend nachgegangen, aber wir können ruhig bei den anderen Opfern weitermachen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich finde ja schon unfassbar, was Frauen wildfremden anderen Frauen in öffentlichen Toiletten alles anvertrauen.«
Sie nahm eine Büroklammer heraus und schloss die
Schublade wieder. »Ach, du meinst, wenn wir alle gemeinsam vom Tisch aufstehen und auf der Toilette über unsere Begleiter lästern?«
Er musterte sie aufmerksam, doch ihr Gesichtsausdruck blieb undurchdringlich.
»Ja, es gibt da so ein geheimes Zeichen, auf das hin wir alle aufstehen und uns auf der Restauranttoilette treffen, um unsere jeweiligen Begleiter zu bewerten. Es gibt eine Skala von eins bis zehn für verschiedene Kategorien, die ausschließlich auf Beobachtung basieren. Geistreicher Gesprächspartner. Großzügig. Gut im Bett.«
Mann, jetzt hätte sie ihn beinahe drangekriegt. »Sehr witzig«, sagte er milde. »Aber da muss ich doch gleich das einzige Mal, das wir gemeinsam essen waren, neu einordnen.«
Sie spielte mit der Büroklammer und lächelte ihn an. »Und jetzt fragst du dich bestimmt, warum so oft keine zweite Verabredung zustande kam, was?«
Er verkniff sich, ihr zu sagen, dass er kaum je eine zweite Verabredung benötigte, um eine Frau ins Bett zu kriegen. Oder wie lange es mittlerweile her war, dass es eine Frau gegeben hätte, mit der er sich überhaupt ein zweites Mal treffen wollte.
»Und wie passt nun die Larsen ins Bild?«
Er brauchte einen Moment, bis er ihrem sprunghaften Themenwechsel folgen konnte. »Die Larsen?«
Sie wies auf das Diagramm. »In die Anordnung. Falls sie sich als Opfer erweist, wohin gehört sie dann in der Reihenfolge?«
Er wandte sich der Zeitachse zu. »Ich habe mir den Bericht über den Vorfall angesehen, nachdem ich mit Dixon gesprochen hatte. Das Feuer war am siebten Juni.« Er sah ihr zu, wie sie die Büroklammer an die Zeitachse klemmte, zwischen die Daten der Vergewaltigungen der Richards
und der Hornby. Wortlos studierten sie gemeinsam die Anordnung.
»Falls sich die Larsen tatsächlich als Opfer entpuppen sollte, hat er nach der Richards nur viereinhalb Wochen gewartet. Und die nächsten beiden Überfälle lagen drei Wochen auseinander«, sagte sie gedehnt.
»Und das bedeutet, dass er seine Dosis steigert.«
Sie trat ein paar Schritte zurück, stützte sich mit einer Pobacke auf die Schreibtischecke und sah ihn mit nüchterner Miene an. »Wir müssen unbedingt mit ihr sprechen.«
Er ging zur Couch hinüber und ließ sich schwer darauf fallen. Langsam machte sich die Erschöpfung bemerkbar und zehrte an seiner Kraft. »Ich dachte, du hättest vielleicht ein paar Ideen, wie man sich ihr nähern könnte. Wenn wir davon ausgehen, dass sie ein Opfer ist, warum hat sie sich dann nicht gemeldet?«
»Verdrängung. Angst. Zu traumatisiert.«
»Oder sie deckt jemanden.«
Abbie überlegte kurz und nickte. »Bevor wir sie gesprochen haben, ist alles nur Spekulation. Und falls sie kein weiteres Opfer ist, ergeben sich daraus noch mehr Fragen.«
Mit männlichen Kollegen hatte er jahrelang zusammenarbeiten müssen, ehe sie so aufeinander eingespielt waren. Wäre er nicht so todmüde gewesen, hätte ihn diese Erkenntnis beängstigt. »Zum Beispiel die, warum die toxikologische Untersuchung bei ihr auf den gleichen seltsamen Drogenmix im Blut hinweist wie bei den anderen.«
»Sie hat irgendetwas mit diesem Fall zu tun.« Abbie streckte die Beine aus und schlug sie an den Knöcheln übereinander. Es hätte überhaupt nicht sexy wirken dürfen, und bei einer anderen Frau hätte es auch nicht so gewirkt. Sein Blick wanderte ihre in schwarze Hosen gehüllten Beine hinauf und ruhte eine Weile auf ihren schlanken Schenkeln,
ehe er sich ihrem langärmligen schwarzen Hemd zuwandte. Die Knöpfe an dessen Vorderseite ließen ihn davon fantasieren, sie einen nach dem anderen aufzumachen, ein Stückchen Haut nach dem anderen zu entblößen und sie beide in den Wahnsinn zu treiben, indem er sich alle Zeit der Welt ließ. Es in die Länge zog.
Er rieb sich mit beiden Händen die Augen. Guter Gott, langsam verlor er wirklich den Verstand; da saß er hier und gab sich schlüpfrigen Träumen über eine Mitarbeiterin seiner Sonderkommission hin. Doch seine Konzentration war beim Teufel. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, was
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