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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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ihn heran und flüsterte: »Derek?«
    Noch ein langsamer Blick in die Runde, dann schüttelte er den Kopf und ging weiter.
    »Was war’s?«, fragte ich.
    »Stimmen, aber sie sind weit weg. Wahrscheinlich die Leute, die das Lagerfeuer gemacht haben.«
    Trotzdem blieb er alle paar Meter stehen, um zu horchen.
    »Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«, fragte ich.
    »Yeah.«
    »Soll ich den Mund halten?«
    »Schon okay.«
    Nach einigen weiteren Schritten räusperte ich mich. »Diese Sache neulich Nacht. Als ich gesagt habe, ich hätte nicht gewusst, dass es Probleme geben würde, wenn eine Leiche in der Nähe ist. Na ja, es war offensichtlich bei der Sache mit den Fledermäusen schon passiert, also …« Ich wartete darauf, dass er mir den Rest des Satzes abnehmen würde, aber er ging einfach weiter. »Ich hab gewusst, dass es ein Problem war«, fuhr ich fort. »Ich hab gewusst, dass ich’s euch sagen sollte. Ich hab einfach nicht … überreagieren wollen, das war es wohl. Als ich diesen Mann beschworen habe, hab ich es zugeben wollen, das mit den Fledermäusen, aber …«
    »Du wolltest also nicht unbedingt hören, dass du da was Dummes gemacht hast, wenn du’s selbst schon wusstest.« Er bog einen tiefhängenden Zweig zur Seite. »Yeah, du musst besser aufpassen. Wir alle. Aber es macht es nicht einfacher, wenn ich dann auch noch auf dich losgehe. Ich weiß.«
    Er sah sich einen Moment lang nach mir um, dann sah ich, wie seine Nasenflügel sich blähten, und er hob den Kopf in den leichten Wind. Er winkte mir zu, uns links zu halten. »Und diese Geschichte, dass ich einfach nicht gemerkt hätte, dass bei mir allmählich die Wandlungen einsetzen? War auch gelogen. Das Jucken, das Fieber und die Muskelkrämpfe, ich hab gewusst, dass es nichts anderes sein konnte. Ich hab einfach … das Gleiche wie bei dir, ich wollte nicht überreagieren und Simon Angst machen. Ich hab gedacht, ich käme damit allein klar.«
    »Wir müssen alle vorsichtig sein. Vor allem jetzt, wo wir wissen, was die getrieben haben, die …«
    Ich ließ den Satz verklingen und spürte die inzwischen schon vertraute Panik, die in meiner Kehle aufzusteigen drohte, die Worte, die ich nicht mehr ungelesen machen konnte.
Genetische Modifikation. Unkontrollierbare Kräfte.
Wie übel würde es werden, wie weit würde es gehen?
    »Chloe?«
    Ich rannte gegen seinen Arm und merkte, dass er stehen geblieben war und auf mich heruntersah.
    »Wir packen das«, sagte er mit sanfter Stimme. »Wir kommen damit klar.«
    Ich wandte den Blick ab. Ich zitterte jetzt so sehr, dass meine Zähne aufeinanderschlugen. Derek legte mir einen Finger unters Kinn und drehte mich zu sich herum.
    »Es ist okay«, sagte er.
    Er sah auf mich herab, den Finger immer noch an meinem Kinn, das Gesicht über meinem. Dann ließ er die Hand fallen und wandte sich mit einem barschen »Da hinten ist was« ab.
    Ich brauchte einen Moment, bis ich ihn eingeholt hatte. Er kauerte neben einem toten Vogel.
    »Ist das hier besser?«, fragte er.
    Ich beugte mich vor. Der Kadaver sah so normal aus, als schliefe er einfach nur. Mein Gewissen würde damit leben können, wenn ich den Geist vorübergehend in diesen Körper zurückholte. Ich wollte mich gerade auf die Knie sinken lassen, da fuhr ich schon wieder hoch.
    »Der ist nicht tot.«
    »Doch, klar ist er das.« Er stieß ihn mit der Fußspitze an.
    »Nein, er bew…« Eine Made kroch unter dem Flügel des Vogels hervor, und ich stolperte nach hinten. »Können wir irgendwas ohne blinde Passagiere finden?«
    Derek schüttelte den Kopf. »Entweder sind sie so, mit Maden, oder schon zu verwest für Maden.« Er beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Schmeißfliegenlarven, erstes Stadium, was bedeutet, der Vogel kann noch nicht länger als …« Seine Wangen liefen rot an, und seine Stimme sank um eine weitere Oktave ab. »Und das sind jetzt auch mehr Informationen, als du brauchst, oder?«
    »Stimmt, du hast mal bei einem naturwissenschaftlichen Wettbewerb ein Experiment mit so was gemacht, oder?« Als er überrascht den Kopf hob, erklärte ich: »Simon hat’s mir erzählt, als ich mir diese Leiche in dem Industriegebäude angesehen habe. Aber er hat gesagt, ich soll’s dir gegenüber nicht erwähnen, weil du bloß Zweiter geworden bist.«
    Er grunzte. »Yeah. Ich behaupte ja gar nicht, dass mein Projekt das Beste war, aber es war auf jeden Fall besser als das vom Sieger – irgend so ein Ökokraftstoff-Müll.« Er überlegte.

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