Seelennacht
sich auch ausruhen.«
»Stimmt. Ich werde ihn so lange nerven, bis er sich hinlegt. Aber es passt ihm nicht, dass wir hier sind, und er denkt wahrscheinlich gar nicht dran, irgendwen Wache schieben zu lassen, der keine Superkräfte und Supersinne hat. Die beste Lösung ist, diese Zelte und Schlafsäcke zu finden und auf den nächsten Campingplatz umzuziehen, damit er dort schlafen kann.«
Ich war gerade ein paar Schritte weit gekommen, als er sagte: »Chloe?«
Ich drehte mich um. Der Flur war dunkel, nur von der Wohnzimmerbeleuchtung hinter ihm erhellt, und sein Gesicht lag im Schatten.
»War es … okay mit Derek heute? Ich weiß, dass er ganz schön fies zu dir war, bevor wir aus Buffalo abgehauen sind. Ich hab mir Sorgen gemacht. Im Moment scheint es aber einigermaßen mit euch beiden zu gehen?«
»Tut es auch.«
Als er nichts dazu sagte, fügte ich hinzu: »Wirklich. Wir sind sogar prima ausgekommen. War ’ne nette Abwechslung.«
Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, aber ich spürte seinen Blick. Dann sagte er leise: »Gut.« Eine Pause, dann nachdrücklicher: »Das ist gut. Bis morgen also. Wir reden dann.«
Wir verschwanden in unseren jeweiligen Schlafzimmern.
Auch dieses Mal wurden der Schlaf und ich nicht die besten Freunde. Mein Hirn war viel zu sehr damit beschäftigt, sich im Land der Alpträume umzusehen.
Ich konnte mir die Wälder rings um das Haus nicht aus dem Kopf schlagen. Wenn ich hörte, wie ein Zweig ans Fenster schlug, sprang ich auf in der Gewissheit, dass es eine Fledermaus war, und dann fielen mir natürlich Zombiefledermäuse ein, gefangen in ihren zerschmetterten Körpern …
Nach einem Traum, der Disney alle Ehre gemacht hätte und in dem ich an der Spitze eines singenden Gefolges von untoten Viechern durch den Wald tanzte, fuhr ich hellwach und schwitzend hoch und beschloss aufzugeben. Ich stieg aus dem Bett und sah auf die Uhr. Es war fast fünf, was bedeuten musste, dass Simon recht behalten hatte und Derek sich wirklich nicht hatte ablösen lassen. Also zog ich mich an, zerrte einen Mantel aus dem Garderobenschrank im Vorraum und machte mich auf den Weg in die Küche.
»Chloe.« Dereks Grollen kam mir aus dem Wald heraus entgegen, bevor ich ihn auch nur sah. »Ich hab Simon gesagt, ich will, dass ihr ausschlaft …«
Er brach ab, als ihm der Geruch von Würstchen in die Nase strömte. Ich sah förmlich vor mir, wie er in der Luft herumschnupperte, während sein Magen zu knurren begann, und gab mir große Mühe, nicht zu lachen.
Ich fand ihn auf einer Lichtung und streckte ihm einen Klappstuhl und einen Teller mit Würstchen hin, die ich jeweils in ein Brötchen geschoben hatte.
»Ich weiß, du willst nicht reinkommen, also kannst du’s dir hier draußen auch etwas bequemer machen. Außer du hast keinen Hunger?«
Er nahm die Würstchen, während ich eine Flasche Cola aus der Tasche zog, den Mantel abnahm und beides an ihn weitergab.
»Du solltest aber schlafen«, sagte er.
»Kann nicht.«
»Klar kannst du. Mach einfach die Augen zu und …« Er musterte mich und grunzte dann: »Was ist los?«
Ich sah in den Wald hinaus. Die Luft roch ganz schwach nach Holzrauch, was mich an das Foto erinnerte.
»Ich hab ein Foto von dir und Simon gesehen. Er hat gesagt, ihr beide hättet hier irgendwo einen Campingplatz gehabt. War das hier, auf dieser Lichtung?«
»Jetzt wechseln wir also das Thema?« Er schüttelte den Kopf, klappte den Stuhl auseinander, setzte sich hin und sah mich sekundenlang erwartungsvoll an, bevor er sagte: »Yeah, das war hier.«
»Es riecht, als hätte jemand gestern Abend irgendwo hier in der Gegend ein Feuer gemacht. Jemand, der Laub verbrennt vielleicht, oder ein paar Kids, die den Sommer nicht abwarten können …«
»Der Themenwechsel ist also entschieden?«
Ich zögerte und setzte mich dann ins Gras. »Es ist einfach … das.« Ich schwenkte die Hand in Richtung Wald. »Ich mache mir Sorgen, ich könnte, du weißt schon, im Schlaf …«
»Wieder eine Leiche beschwören?«
Ich nickte.
»Deswegen konntest du auch letzte Nacht nicht schlafen, richtig? Später, im Bus, bin ich draufgekommen. Du hast dir Sorgen gemacht, sie wäre da draußen begraben – das Mädchen, von dem du gesehen hast, wie sie umgebracht wurde.«
Ich nickte wieder. »Ich hatte Angst, dass ich, wenn ich einschlafe, weiter an sie denken würde und sie dann beschwören könnte, so wie bei diesem Obdachlosen. Ich kann meine Träume nicht
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