Seelennacht
und musterte den Wald. Alles war still.
»Kriech in die Richtung dort«, flüsterte er, »ins dickere Gebüsch. Ich gehe näher ran, sehe mal …«
Das lange Gras vor unseren Füßen schien zu explodieren. Derek warf sich wieder über mich und flüsterte: »Bleib unten!«, als ob ich eine Wahl gehabt hätte, wenn ein hundertachtzig Pfund schwerer Typ mich festhielt.
Ein scheußliches Krächzen hallte durch den Wald, und als wir in die Richtung sahen, aus der das Geräusch kam, stand dort der tote Vogel und trommelte mit den Flügeln auf den Boden. Ich kann mit einiger Befriedigung darauf hinweisen, dass ich nicht die Einzige war, die zusammenfuhr.
Derek ließ mich los. »Gib ihn …«
»Ich weiß.«
Ich kroch zur anderen Seite der Lichtung, weit genug, damit ich mir keine Sorgen machen musste, der Vogel könnte zufällig auf mich draufspringen.
»Hört ihr das?«, rief eine Stimme über das Geschrei des Vogels hinweg.
Ebenfalls über das Geschrei hinweg versuchte ich, den Geist freizugeben, aber alles, was ich denken konnte, war:
Bring ihn zum Schweigen. Bring ihn zum Schweigen!
Wieder ein Krachen. Wir warfen uns beide flach auf den Boden. Eine Kugel flog über uns hinweg und traf in einem Schauer von Rindensplittern auf einem Baumstamm auf.
Ich blieb auf dem Bauch liegen und schloss die Augen. Derek packte mich am Arm.
»Ich versuch’s«, sagte ich. »Lass mir einfach …«
»Vergiss es. Komm schon.«
Er zerrte mich vorwärts, vornübergebeugt, schnell. Hinter uns kreischte der Vogel weiter und übertönte die Geräusche, die unser Rückzug machte. Als er aufhörte, blieben wir stehen. Ich konnte etwas im Unterholz prasseln hören – den Vogel oder unsere Verfolger, es war nicht festzustellen. Einen Moment später begann der Vogel wieder zu schreien, jetzt mit einem panischen Unterton, der mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Ich schloss die Augen, um ihn freizugeben.
»Noch nicht«, sagte Derek.
Er führte mich weiter, bis wir eine Gruppe von dichten Sträuchern erreicht hatten. Wir schafften es, uns bis in die Mitte des Gebüschs zu schieben, und kauerten uns dort auf den Boden. Die Schreie des Vogels wurden schwächer, aber ich hörte, wie er sich bewegte.
»Was zum …?«
Es war eine Männerstimme, gefolgt von einem
Pffft,
das jeder Fan von Thriller-Filmen als das Geräusch einer Waffe mit Schalldämpfer erkannt hätte. Und ich war mir ziemlich sicher, dass Schalldämpfer nicht für Jagdgewehre angefertigt werden … und Jäger bei der Jagd keine kurzläufigen Waffen tragen.
Das Geschrei des Vogels wurde wieder lauter. Und die Flüche des Mannes wurden ebenfalls lauter. Zwei weitere gedämpfte Schüsse, dann ein Krachen, als hätte er es jetzt mit dem Gewehr versucht. Die Schreie wurden zu einem fürchterlichen Gurgeln.
»Herrgott, was ist das eigentlich für ein Ding? Ich hab dem praktisch den Kopf weggeblasen, und es lebt immer noch!«
Ein zweiter Mann antwortete mit einem unwirschen Auflachen. »Na, damit ist die Frage wohl beantwortet, oder? Das Saunders-Mädchen muss wieder mit diesen Jungen zusammen sein.«
Ich sah Derek an, aber sein Blick war geradeaus gerichtet, in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf den Vogel. Nach ein paar Sekunden verstummten die armseligen Geräusche endlich.
Als das nächste Quaken kam, kniff ich die Augen zusammen in der Gewissheit, dass ich den Geist des Vogels doch noch nicht hatte freigeben können, aber es war nur ein Funkgerät. Derek beugte sich vor, um zu lauschen. Ich konnte kaum etwas von dem, was gesagt wurde, hören, aber es reichte, um zu verstehen, dass dies in der Tat ein Sicherheitsteam der Edison Group war.
Sie hatten uns also gefunden. Und sie verschwendeten ihre Zeit nicht mehr mit Betäubungspfeilen. Warum sollten sie? Wir waren gefährliche Versuchsobjekte, die inzwischen zum zweiten Mal entkommen waren. Jetzt brauchten sie keine Entschuldigung mehr, um das zu tun, was sie wahrscheinlich schon die ganze Zeit gern getan hätten – die Rehabilitationsversuche aufgeben und uns aus der Studie »herausnehmen«. Die Einzige, die um mein Leben gekämpft hätte, war Tante Lauren, und sie war eine Verräterin. Viel einfacher, uns gleich hier umzubringen und die Leichen zu entsorgen – weit von Buffalo entfernt.
»Simon!«, zischte ich. »Wir müssen ihn warnen und …«
»Ich weiß. Das Haus ist dahinten. Wir schlagen einen Bogen.«
»Aber wir können nicht zum Haus
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