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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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zurück. Das ist der erste Ort, wo sie nachsehen werden, wenn sie nicht schon dort sind.«
    Seine Augen glitten ins Leere, seine Kiefermuskeln spannten sich an.
    »Aber wir müssen’s versuchen, richtig?«, fragte ich. »Okay, wenn wir vorsichtig sind …«
    »Nein, du hast recht«, sagte er. »Ich gehe. Du wartest hier.«
    Ich packte ihn an seiner Jacke, als er weiterkriechen wollte. »Du kannst nicht …«
    »Ich muss Simon warnen.«
    »Ich komme mit.«
    »Nein, du bleibst hier.« Er wollte sich abwenden und hielt dann inne. »Beziehungsweise geh schon mal vor. Es gibt eine Straße ungefähr eine halbe Meile nördlich von hier.« Er zeigte mir die Richtung. »Du kannst sie nicht verfehlen, und das Gelände ist nicht schwierig, Simon und ich sind die Strecke oft gegangen. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, lauf los. Bis zur Straße, und dort versteckst du dich. Ich finde dich schon.«
    Er setzte sich in Bewegung. Ich hätte gern widersprochen, aber ich wusste, dass es zwecklos gewesen wäre – nichts würde ihn davon abhalten, Simon zuliebe zurückzugehen. Und er hatte recht damit, dass ich nicht mitkommen sollte. Denn ich wäre einfach nur eine weitere Person, die er schützen musste. Es war wirklich am besten, auf sein Zeichen zu warten und –
    Dereks ohrenbetäubender Pfiff gellte durch die Nacht. Dann noch einmal und ein drittes Mal, und ich wusste jetzt, was genau er mit dem »Zeichen« gemeint hatte – es galt nicht nur mir, sondern auch Simon, den er damit aufzuwecken versuchte.
    Es war laut genug, um
jeden
aufzuwecken – und dem gesamten Sicherheitsteam ganz genau mitzuteilen, wo …
    Der Gedanke geriet in meinem Kopf ins Stocken. Dann begann ich, Derek zu verfluchen, mit jeder Beleidigung, die ich kannte, und einige, von denen ich zuvor gar nicht gewusst hatte,
dass
ich sie kannte.
    Er wusste, dass er mit seinen Pfiffen die Aufmerksamkeit des gesamten Teams erregen würde. Und genau deshalb hatte er das anstatt etwas Unauffälligerem getan, etwa Steinchen an Simons Fenster zu werfen. Er lockte sie hinter sich her und gab Simon und mir damit Gelegenheit zur Flucht.
    Ich wollte ihn anbrüllen. Diese Männer hatten Schusswaffen.
Richtige
Schusswaffen. Und keine Bedenken, sie einzusetzen. Wenn sie Dereks Köder schluckten …
    Er kommt klar. Er hat dir eine Fluchtmöglichkeit geliefert. Nutz sie. Lauf!
    Ich krabbelte aus dem Gebüsch heraus und begann zu laufen, in langsamem, geducktem Trab, suchte mir einen Weg über offene Flächen und vermied das prasselnde Unterholz. Als ich Schritte hörte, sah ich mich nach einer Deckung um, und als ich keine fand, warf ich mich auf den Boden.
    Zwei Gestalten gingen keine drei Meter entfernt an mir vorbei. Beide steckten von Kopf bis Fuß in Tarnkleidung – wie Scharfschützen bei der Armee. Sie hatten sogar Tarnnetze vor den Gesichtern, die von ihren Hüten herabhingen.
    Ein Funkgerät piepte, und eine Männerstimme fragte: »Team Bravo?«
    Einer der beiden – eine Frau, der Stimme nach – meldete sich.
    Der Mann am anderen Ende sagte: »Er ist auf unserer Seite. Kommt von Osten zu uns, dann haben wir ihn …«
    Ein Gewehrschuss ließ mir das Herz in der Kehle hämmern. Das Krachen von Unterholz kam über das Funkgerät.
    »Habt ihr ihn erwischt?«, fragte die Frau.
    »Bin mir nicht sicher. Das war Team Charlie. Kommt hier rüber. Ende.«
    Wieder ein Schuss. Weiteres Geprassel. Ich war mir sicher, dass die beiden das panische Schlagen meines Herzens hören müssten, aber sie gingen weiter, auf den fernen Lärm zu. Auf Derek zu.
    Bravo und Charlie … ich hatte genug Kriegsfilme gesehen, um zu wissen, dass das bedeutete, dass es mindestens drei Zweierteams gab. Sechs bewaffnete Sicherheitsleute. Genug, um Derek zu umzingeln und …
    Lauf einfach weiter. Er findet schon einen Ausweg. Er hat Superkräfte, vergiss das nicht.
    Von denen keine ihm gegen sechs ausgebildete Profis helfen würde. Oder eine Kugel aufhalten konnte.
    Ich wartete, bis die beiden verschwunden waren, und sah dann in die Baumkronen hinauf. In den letzten paar Jahren hatten sie im Sommerlager Survival-Tage veranstaltet. Bei den meisten sportlichen Aufgaben war ich hoffnungslos gewesen, aber es hatte eine gegeben, bei der es tatsächlich von Vorteil war, klein zu sein … und schließlich hatte ich zu Hause auch noch ein paar alte Gymnastikpokale im Regal stehen.
    Ich rannte zu dem nächststehenden Baum mit tief ansetzenden Ästen hinüber, packte einen davon und überprüfte seine

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