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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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ist.«
    Ich winkte sie zu einer Reihe von Tonnen herüber, hob einen Deckel hoch und zeigte auf das Reißwolfpapier im Inneren. »Recycling. Keine Restaurants in der Nähe, also wird’s auch nicht stinken.«
    Ich ging weiter in die Gasse hinein. Sie endete an der Mauer.
    »Das ist perfekt«, sagte ich. »Drei geschlossene Seiten, und die Tonnen versperren ein Stück weit den Eingang. Wir können ein paar Kartons verschieben und Papier zum Draufsetzen auslegen.«
    »Und wenn wir wirklich Glück haben, finden wir einen Karton, der groß genug ist, damit wir reinkriechen und Obdachlose spielen können.«
    »Tori, im Moment
sind
wir Obdachlose.«
    Das brachte sie zum Schweigen. Ich blieb am Ende der Gasse stehen und begann zu lachen.
    »Komm mal her.«
    Sie seufzte. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    Ich winkte sie näher.
    »Oh.« Sie streckte die Hände aus und wärmte sie in der heißen Luft, die aus einem Entlüftungsrohr drang.
    Ich grinste. »Sogar eine Heizung haben wir. Ist das perfekt, oder ist das perfekt?«
    »Zu perfekt«, sagte die Stimme eines Mädchens. »Deswegen ist der Platz hier ja auch besetzt.«
    Drei Mädchen kamen die Gasse entlang in unsere Richtung. Alle drei waren etwa in unserem Alter. Eine war blond und trug einen zu großen Tarnanzug. Die zweite hatte Dreadlocks. Das dritte Mädchen steckte in einer zerschrammten braunen Lederjacke. Als sie in einen Fleck aus Mondlicht trat, sah ich eine breite Narbe, die von ihrem Auge bis hinunter zu ihrem Kinn lief.
    »Seht ihr das?« Das Mädchen mit den Dreadlocks zeigte zu einem Sprayer-Tag auf dem hölzernen Zaun. »Das ist unser Zeichen. Das bedeutet, der Platz hier gehört uns.«
    »Wir haben das nicht gesehen. Sorry, wir verziehen uns.«
    Ich setzte mich in Bewegung, aber Tori zog mich zurück. »Nein, machen wir nicht. Ihr könnt die Gasse nicht für euch
reservieren,
Zeichen hin oder her. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn ihr den Platz wollt, dann seid morgen halt früher da.«
    »Entschuldigung?«
    Das narbige Mädchen holte ein Schnappmesser aus der Tasche, das mit einem Klicken aufsprang. Tori warf einen Blick darauf, rührte sich aber nicht von der Stelle. Ihr Blick kehrte zum Gesicht des Mädchens zurück.
    »Seht euch das an«, sagte das narbige Mädchen zu den beiden anderen, »die Tussi will uns unseren Schlafplatz wegnehmen. Wie lang bist du schon auf der Straße, Süße?« Sie musterte Tori von oben bis unten. »Seit halb neun heute Morgen vielleicht, würde ich mal sagen. Was war los? Haben Mommy und Daddy gesagt, du darfst dich abends nicht mit deinem Freund treffen, wenn morgen Schule ist?«
    Die beiden anderen kicherten. Tori krümmte und streckte die Finger, sie bereitete eine Formel vor. Ich griff nach ihrem Handgelenk. Sie versuchte, mich abzuschütteln. Es gelang mir, ihre Aufmerksamkeit auf die Messer zu lenken, die die beiden anderen jetzt in den Händen hielten, aber ihr Blick kehrte sofort zu dem Mädchen mit der Narbe zurück, und ich sah die gesamte aufgestaute Wut der letzten vierundzwanzig Stunden an die Oberfläche steigen. Die Kartons in der Nähe der drei Mädchen zitterten und raschelten. Papier begann hinter ihnen aufzuwirbeln. Keine von ihnen drehte sich auch nur um – sie mussten denken, dass es nur der Wind war.
    Ich umklammerte Toris Handgelenk fester und flüsterte: »Zu viele.«
    Zu meiner Überraschung spürte ich, wie ihre Hand sich entspannte. Ich rechnete mit einem Trick und hielt sie weiter fest, aber sie schüttelte mich ab und sagte: »Schön. Wir gehen.«
    »Gute Idee«, sagte das narbige Mädchen. »Und wenn ihr das da das nächste Mal seht«, sie zeigte auf das Sprayer-Tag, »macht einen Bogen drum. Wenigstens so lange, bis ihr die richtige Hardware habt, um mitzuspielen.«
    In dem Moment, als wir an ihnen vorbeigehen wollten, flog die Hand des narbigen Mädchens nach oben, traf Tori an der Brust und brachte sie zum Stehen.
    »Das Leben hier draußen ist nicht so, wie ihr zwei es euch vorstellt. Ihr habt noch eine Menge zu lernen.«
    »Danke«, grunzte Tori und versuchte weiterzugehen, aber das andere Mädchen hielt sie wieder zurück.
    »Der springende Punkt beim Lernen? Wenn die Lektion wirklich ankommen soll, muss es da Konsequenzen geben. Also werde ich euch helfen, euch an die hier zu erinnern. Gib mir deine Jacke.«
    Sie streckte die Hand aus. Tori starrte auf sie hinunter.
    »Meine ist allmählich wirklich alt«, erklärte das Mädchen. »Deine gefällt mir besser.«
    Tori schnaubte

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