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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Weg zur Bushaltestelle zu machen.
     
    Nach etwa einer halben Meile vollkommener Stille sagte Derek: »Du bist still heut Morgen.«
    »Einfach nur müde.«
    Noch weitere dreißig Meter.
    »Es ist wegen letzter Nacht, oder?«, fragte er. »Wenn du drüber reden willst …«
    »Eigentlich nicht.«
    Alle paar Schritte sah er zu mir herüber. Ich war nicht in mitteilsamer Stimmung, aber mein Schweigen machte ihm unverkennbar zu schaffen, also sagte ich: »Ich muss immer an den Moment denken, als ich gemerkt habe, dass das Mädchen in Schwierigkeiten ist. Als ich noch gedacht habe, es ist echt. Ich wollte irgendwas tun …«
    »Was?«, unterbrach er.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Rufen. Ihn ablenken.«
    »Wenn es echt gewesen wäre, hättest du nicht mal dran
denken
sollen, dich einzumischen! Der Typ hatte ein Messer! Und er war offensichtlich bereit, es auch zu verwenden.«
    »Das war aber eigentlich nicht das Problem«, murmelte ich und beobachtete, wie meine Füße Steinchen davonspringen ließen.
    »Okay. Das Problem war also?«
    »Ich hab das Messer gesehen und konnte mich einfach nicht mehr bewegen. Ich hab an nichts mehr denken können als an dieses Mädchen aus der Sackgasse – die, die mir das Messer ans Gesicht gehalten hat. Wenn das letzte Nacht echt gewesen
wäre,
dann hätte ich vielleicht jemanden sterben lassen, weil ich zu viel Panik hatte, um irgendwas zu unternehmen.«
    »Es war aber nicht echt.«
    Ich sah zu ihm auf.
    »Okay«, gab er zu. »Das war auch wieder nicht der springende Punkt. Aber was da passiert ist in der Gasse – du hattest ja noch nicht mal Zeit und Ruhe, es«, er wedelte mit der Hand, während er nach dem passenden Wort suchte, »zu verarbeiten. Mit Simon hast du drüber geredet, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Er runzelte die Stirn. »Aber du hast ihm
erzählt,
was passiert ist?«
    Wieder ein Kopfschütteln.
    »Solltest du aber. Du solltest mit irgendwem reden. Mit Tori kannst du nicht reden. Liz hört wahrscheinlich gut zu, aber sie ist ja gerade nicht greifbar.« Er zögerte. »Du könntest mit mir reden, aber du hast inzwischen wahrscheinlich auch raus, dass ich bei so was nicht so gut bin. Ich meine, wenn du gern würdest …« Der Satz verklang. Dann sprach er mit mehr Überzeugung weiter, die Schultern gegen die Morgenkälte gestemmt: »Du solltest mit Simon sprechen. Er würde wissen wollen, was passiert ist, und er würde auch wollen, dass du diejenige bist, die’s ihm erzählt.«
    Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich es wirklich tun würde. Simon hatte in letzter Zeit in der Rolle des Chloetrösters genug leisten müssen. Ich sollte allmählich anfangen, selbst mit den Dingen fertig zu werden. Aber es gab da ein ähnliches Problem, bei dem ich tatsächlich Hilfe wollte.
    »Ich hab mir überlegt«, begann ich, »nach allem, was passiert ist, sollte ich vielleicht lernen, mich zu verteidigen. Ein paar von den grundlegenden Selbstverteidigungsmethoden.«
    »Das ist eine gute Idee.«
    »Prima, könntest du vielleicht?«
    »Ich frage Simon, er soll dir welche beibringen«, fuhr er fort.
    »Oh. Ich habe gedacht … ich habe wohl gedacht, das wäre eigentlich eher dein Ding.«
    »Unser Dad hat uns beiden das Nötigste beigebracht. Simon ist gut. Außer …« Er warf einen Blick zu mir herunter. »Ich meine, wenn du möchtest, klar, ich kann helfen. Aber Simon wäre ein besserer Lehrer. Er hat die nötige Geduld für so was.«
    »Okay. Dann rede ich mit ihm.«
    Er nickte, und wir verfielen wieder in Schweigen.
     
    Wir hatten noch zwanzig Minuten Zeit bis zur Abfahrt, als wir den Busbahnhof in Albany erreichten. Am Fahrkartenschalter wartete ich einige Schritte hinter Derek, damit die Frau am Schalter zwar sehen konnte, dass ich ein Teenager war, aber keinen allzu genauen Blick auf mich werfen konnte – nur für den Fall, dass mein Foto die Runde machte. Als ich das Gefühl hatte, dass es Schwierigkeiten gab, stellte ich mich neben Derek.
    »Was ist los?«, flüsterte ich.
    »Sie will uns nicht zum Jugendtarif fahren lassen.«
    »Es ist kein Jugendtarif«, erklärte die Frau. »Es ist ein Schülertarif. Wenn ihr mir keinen Schülerausweis zeigen könnt, kriegt ihr ihn nicht.«
    »Aber in Buffalo haben wir die Tickets ohne Ausweis gekriegt.« Ich legte meine abgestempelte Fahrkarte auf den Schaltertisch.
    »Das war in Buffalo«, sagte sie naserümpfend. »Hier in der
Hauptstadt
des Bundesstaats halten wir uns an die Regeln. Ohne Schülerausweis kein

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