Seelenprinz
anzunehmen. Und tatsächlich war es eine Gelegenheit, sie für sich zu gewinnen, indem er sie vor einer ungerechten Strafe bewahrte. Vielleicht stimmten sie die Umstände ihrer Verurteilung gegenüber ihrem Feind und Retter gewogen.
Er schloss kurz die Augen und stellte sie sich auf seinem Bettlager vor.
Als Xcor die Augen wieder aufschlug, öffnete Phury die Hintertür der Limousine, beugte sich hinein und zog die Auserwählte aus dem Wagen… die Kämpfer fassten sie links und rechts bei den Ellbogen und stützten sie auf dem Weg auf das Gebäude zu.
Xcor machte sich bereit zum Angriff. Nach so langer Zeit, einem ganzen Leben, war er ihr einmal mehr ganz nah, und er würde die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, die ihm das Schicksal bot, nicht jetzt, da ihr Leben eindeutig am seidenen Faden hing. Und er würde siegen. Dass sie in Gefahr schwebte, verlieh seinem Körper unvorstellbare Kraft, und sein Geist war aufs Äußerste geschärft, sodass er in Windeseile verschiedene Angriffsmöglichkeiten ersann und gleichzeitig vollkommen ruhig blieb.
Tatsächlich wurde sie nur von diesen beiden Vampiren bewacht. Und dann war da noch eine Frau, die nicht nur unbewaffnet zu sein schien, sondern nicht einmal um sich blickte, als wäre sie völlig unerfahren im Kampf.
Er war mehr als stark genug, um es mit den Geiselnehmern seiner Auserwählten aufzunehmen.
Doch als er losstürzen wollte, wehte ihm der steife, kalte Wind den Duft seiner Auserwählten in die Nase. Das verlockende Parfüm, das nur sie allein verströmte, ließ ihn in den Springerstiefeln schwanken.
Sogleich bemerkte er die Veränderung.
Blut.
Sie blutete. Und da war noch etwas…
Ohne bewusstes Zutun strebte sein Körper auf sie zu, und er materialisierte sich keine drei Meter entfernt von ihr hinter einem kleinen Ableger etwas abseits vom Hauptgebäude.
Das hier war keine Gefangene, die man zu einer Zelle oder Hinrichtung führte, wie er jetzt erkannte.
Seine Auserwählte hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Die Krieger stützten sie fürsorglich. Obwohl sie ihre Waffen gezogen hatten und nach Angreifern Ausschau hielten, gingen sie behutsam mit ihr um, als wäre sie eine hauchzarte Blüte.
Man hatte sie nicht misshandelt. Sie trug keine blauen Flecken oder Striemen. Auf ihrem Weg zu dem Gebäude blickte sie erst einen der Vampire an und dann den anderen, und sie sprach mit ihnen, als wollte sie ihre Begleiter beruhigen– denn es war nicht Angriffslust, die sich in den finsteren Gesichtern der Krieger spiegelte.
Es war die gleiche Angst, die Xcor gepackt hatte, als ihm der Blutgeruch in die Nase gestiegen war.
Xcors Herz schlug ihm bis in den Hals, während er versuchte, sich das Ganze zu erklären.
Und dann fiel ihm etwas aus seiner Kindheit ein.
Nachdem ihn seine Mahmen abgewiesen hatte, legte man ihn vor ein Waisenhaus im Alten Land und überließ ihn seinem Schicksal. Dort hatte er mit anderen ausgestoßenen Kindern gelebt, die meisten von ihnen körperlich entstellt wie er, fast ein Jahrzehnt lang– lange genug, um bei ihm eine bleibende Erinnerung zu hinterlassen, was an diesem traurigen, einsamen Ort geschah.
Lange genug, um sich zusammenzureimen, was es hieß, wenn eine einsame Vampirin am Tor erschien und eingelassen wurde, um dann stundenlang zu schreien, manchmal tagelang , bevor sie in den meisten Fällen ein totes Kind gebar. Oder eine Schwangerschaft verlor.
Es war ein sehr spezieller Blutgeruch gewesen, damals. Und der Geruch, den der kalte Wind jetzt zu ihm trug, war der gleiche.
Was er hier roch, war eine Schwangerschaft.
Zum ersten Mal in seinem Leben hörte er sich gepeinigt die folgenden Worte ausstoßen: » Gütige Jungfrau der Schrift…«
34
Bei dem Gedanken, dass Angehörige der s’Hisbe in Caldwell waren, wollte Trez am liebsten auf der Stelle die Koffer packen, sich seinen Bruder schnappen und schnellstens das Weite suchen.
Auf der Fahrt von der Lagerhalle zum Iron Mask platzte ihm fast der Schädel, und er musste sich ganz bewusst darauf konzentrieren, wo er abzubiegen hatte, welche Stoppschilder zu beachten waren, und wo er bei seiner Ankunft parken sollte. Nachdem er seinen X5 abgewürgt hatte, saß er einfach hinter dem Steuer und starrte auf die Backsteinmauer seines Clubs… ungefähr ein gefühltes Jahr lang.
Eine großartige Metapher, diese undurchdringliche Wand da vor ihm.
Ihm war durchaus bewusst, in welchem Ausmaß er seine Angehörigen enttäuschte. Leider ließ ihn das vollkommen kalt.
Weitere Kostenlose Bücher