Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
lebensfroh, zu sprunghaft. Zu wenig Dame war ich ohnehin, konnte ich in dem Alter auch noch gar nicht sein. Nach der Hochzeit war es müßig mit ihrem Sohn darüber zu streiten und so intrigierten sie eben, wo es nur ging. Meine Schwiegermutter beherrscht das Intrigieren perfekt. Und besonders gut ging es bei dem Problemfeld Kinderkriegen. Ich wurde schwanger, ich verlor das Baby jedes Mal innerhalb des ersten Trimenons. Warum, konnte der Arzt nicht herausfinden. Meinen Beruf hatte ich auf Wunsch meines Mannes aufgegeben. Ich bin Physiotherapeutin. Nun saß ich zu Hause und versuchte für die Familie Meister ein Kind zu gebären. Möglichst sollte es auch noch ein Junge sein, aber nach den vielen Fehlschlägen sei man schon über den erfolgreichen Abschluss einer Schwangerschaft froh, teilte meine Schwiegermutter mir mit. Wir konsultierten einen anderen Arzt und ich machte eine Hormontherapie. Nach unglaublich vielen Besuchen beim Gynäkologen und einer langen Reihe von Fehlschlägen, wurde ich wieder schwanger und trug das Kind aus. Lara wurde per Kaiserschnitt entbunden. Nun war es also geschafft. Wir hatten ein Baby und waren eine echte Familie. Etwas, das ich nie zuvor besessen hatte. Mein Vater war Alkoholiker und wir lebten vom Gehalt meiner Mutter. Jeden Pfennig prügelte er aus ihr heraus und versoff alles. Meiner Mutter blieb oft nicht genug übrig, um etwas zu Essen für uns einzukaufen. Als ich zehn war, starb sie plötzlich – mein Vater nur zwei Monate später. Ich kam in ein Heim.«
Ihre Augen blieben grau und tot. Als spräche sie über eine völlig fremde Person.
Peter Nachtigall versuchte irgendeine Gefühlsregung auf ihrem Gesicht auszumachen, doch es war maskenhaft starr.
»Aber nun war es geschafft! Meine Familie würde perfekt sein! Ich wollte alles dafür tun, hatte schon so viele Opfer für dieses Ziel gebracht. Mein Mann versprach mir, nun würde alles anders werden. Er hatte sich nämlich über meine unzähligen Untersuchungen, gynäkologischen Eingriffe und all die Nebenwirkungen meiner Hormontherapie mit anderen Frauen hinweggetröstet. Ich schien ihm irgendwie unrein und außerdem konnte ich schwanger sein, er hätte mich also schonen müssen und das war nicht die Art Sex, an der er seine Freude hatte. Und ich war zeitweilig tatsächlich unglaublich dick und unattraktiv. Damals galt das jedenfalls, heute scheint sich seine Auffassung in diesem Punkt geändert zu haben. Nach der Entbindung sollte damit nun Schluss sein und er wollte nur noch für seine Familie da sein.«
Sie nestelte an ihrer Jackentasche und zog ein Taschentuch heraus.
»Ich hatte fast so etwas wie Verständnis für ihn. Die Therapie sorgte für Stimmungsschwankungen bei mir, mein Körper wurde unansehnlich, ich litt unter Übelkeit und depressiven Schüben. Dann dieses permanente Schweben zwischen Hoffen und Bangen. War ich nun schwanger? Oder wieder nicht? Würde ich wieder versagen und das Kind verlieren? Meine Schwiegermutter rief jeden Tag an und verlangte einen Rapport. Jeder meiner Schritte wurde überwacht, damit ich nur nicht aus Dummheit eine eventuelle Schwangerschaft gefährdete. Es war grauenvoll – sechs Jahre lang. Reduziert auf meine biologische Funktion, ohne dass mir jemand ein bisschen Wärme entgegengebracht hätte. Aber mein Mann hatte es mir für die Zeit danach versprochen, wenn das Kind geboren war.«
Ihr Stimme war kalt und schneidend.
»Und? Hat er Wort gehalten?«
»Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Vielleicht. Aber irgendwann fingen die Probleme mit Lara an und er zog sich zurück. Ging etwas schief, war es meine mangelnde Erziehung, die schuld war, erzog ich das Kind, warf er mir vor, ich sei schuld daran, wenn sie es bei uns nicht aushielte. Ich suchte nach einer Alternative. Es schien auch zeitweilig zu klappen. Doch dann tauchte diese Friederike auf und verkehrte jede Aktion von mir in einen Akt der Drangsalierung und Ausbeutung. Lara war ihr regelrecht hörig.
Alles, was aus Liebe geschah, wurde zur Erpressung, jede Kritik zum Zeichen der familiären Kälte und Lieblosigkeit. Ich musste einsehen, dass ich in der Falle saß. Fast so plötzlich wie dieses Gewitter über mich hereingebrochen war, war es eines Tages auch vorbei. Lara fand Friederike auf einmal daneben und krank. Ruhe kehrte ein. Und dann brach der Sturm unvermittelt wieder los. Ich wollte das nicht alles noch einmal durchmachen. Alle Qualen und Erniedrigungen, die ich erlitten hatte, um dieses Kind zu bekommen,
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