Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
gelebt, als der Mieter die seltsamen Laute gehört hat.«
»Sie ist definitiv schon seit ein paar Stunden tot.«
»Unheimlich. Eine Tote macht auf sich aufmerksam, als wolle sie erreichen, dass die Tat so schnell wie möglich gesühnt wird«, flüsterte Nachtigall abwesend.
»Herr Hauptkommissar?«
Peter Nachtigall drehte sich zu Phillip Schmidt, einem Mitarbeiter der Spurensicherung, um.
»Wir sind soweit fertig. Wenn Sie wollen, können Sie jetzt lüften. Sehen Sie mal, hier im Flur haben wir an der Wand sowie an dieser schmalen Kommode Schleuderspuren gefunden. Das bedeutet: Der Fundort ist identisch mit dem Tatort. Unter dem Körper findet sich eine Lache, aus der Blut zur Tür geflossen ist. Auch die Schleifspuren stützen die These, dass sie sich selbst zur Tür bewegt hat. Soweit passt alles zusammen«, erläuterte er seine ersten Befunde akribisch.
»Schleuderspuren?«
»Wenn sie ein blutiges Messer aus einer Wunde ziehen und ausholen um erneut zuzustechen, entstehen selbst durch kleine Blutstropfen charakteristische Muster, die uns beweisen, dass hier an dieser Stelle mehrfach zugestochen wurde.«
»Aber wenn jemand sie hier attackiert hat, hätte doch das ganze Haus durch den Krach alarmiert werden müssen. Direkt hinter der Wohnungstür.«
Der Kollege schüttelte den Kopf.
»Sie wurde hier getötet. Dafür spricht auch, dass sonst nirgends in der Wohnung Blut zu sehen ist. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Warum ihr keiner geholfen hat, weiß ich auch nicht.«
»So ein junges Mädchen. Ob sie hier ganz allein gewohnt hat?« Albrecht Skorubski, der sich den Anblick der Opfer am liebsten ersparte, war schon in den Wohnraum vorgegangen und sah sich dort um. Er nickte Nachtigall zu, als dieser zu ihnen stieß.
»Hat sie«, antwortete Michael Wiener, das jüngste Mitglied in Nachtigalls Team, prompt. »Herr Samuel Engel hat uns verständigt. Seine Angabe nach handelt es sich bei dem Opfer um Friederike Petzold, die Mieterin der Wohnung.« Sein badischer Akzent war nur noch schwach herauszuhören, was, so hoffte Peter Nachtigall, erhalten bleiben würde. Er empfand die Sprachmelodie als angenehm und gemütlich.
»Frag doch mal im Haus nach, ob jemandem etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Vielleicht gab es einen lauten Streit. Sie wurde im Flur getötet – vielleicht hat doch einer der anderen Mieter etwas gehört. Und wir brauchen Informationen über die junge Frau, ihre Lebensweise, ihre Interessen und so weiter. Was wir kriegen können.«
Michael Wiener nickte dem Hauptkommissar zu und lief eilfertig davon, froh dem Geruch und dem Anblick des Todes entkommen zu können.
»Schon wieder eine Mädchenleiche.« Albrecht Skorubski seufzte. »Dabei steckt mir noch die Sache von letztem Winter in den Knochen!«
»Hör bloß auf zu unken.« Nachtigall drohte dem Kollegen mit ausgestrecktem Zeigefinger. »So etwas passiert schließlich nicht jedes Jahr!«
Er trat ans Fenster und öffnete es weit, dann drückte er auch die Terrassentür auf. Obwohl es noch früh am Morgen war, ließ sich die belastende Schwüle des Tages schon erahnen. Es ging kein Luftzug.
»War die Tür zur Terrasse eigentlich verriegelt?«, rief er Phillip Schmidt nach, der gerade die Wohnung verlassen wollte.
»Nur zugezogen.«
Schon wieder eine Mädchenleiche, Albrecht hatte recht, sie alle hatten den Fall vom letzten Herbst noch nicht verarbeitet.
Kurz vor Weihnachten hatten sie einen Serientäter in Cottbus gejagt, der drei junge Frauen ermordet und grauenhaft verstümmelt hatte. Peter Nachtigall hätte damals um ein Haar seine eigene Tochter an den psychopathischen Täter verloren. Noch jetzt, acht Monate später, wachte er manchmal schweißgebadet auf, weil ihn die schrecklichen Bilder bis in seine Träume verfolgten.
Er gab zwei Herren in dezenten, grauen Anzügen ein Zeichen. Die Hände der Toten steckten in Tüten, die eventuell vorhandene Gewebe- oder Faserreste auf dem Transport in die Pathologie sichern sollten. Die Träger hoben das Opfer zunächst in einen dunklen Kunststoffsack und danach in einen Metallsarg. Ein forensischer Pathologe würde die Obduktion durchführen. Nachtigall hoffte, es würde Dr. Pankratz aus Potsdam sein, ein Gerichtsmediziner, den er schon seit Jahren kannte und dessen Urteilsvermögen er sehr schätzte.
Als das Opfer abtransportiert war, erkundete er die einzelnen Zimmer der kleinen Wohnung.
»Sieht nach einer wilden Party aus, wie? Das sind mindestens
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