Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
fünfundzwanzig leere Flaschen! Und was für ein Zeug!« Albrecht Skorubski klang beeindruckt.
»Hochprozentiges. Lauter billiger Fusel.«
»Billig aber wirksam«, mischte sich der Notarzt ein und ließ seinen Koffer geräuschvoll zuschnappen. »Die jungen Mädchen üben sich heutzutage im Kampftrinken! Je schneller das Koma erreicht wird, desto besser. Womit ist gleichgültig. In der Notaufnahme liegen jedes Wochenende ein paar Opfer!«
»Reiche Ernte für den Erkennungsdienst!«, frotzelte Skorubski und fuhr sich mit beiden Händen über seine fast perfekte Glatze, die er wegen der zu erwartenden Hitze heute nicht unter seiner Schirmmütze versteckt hatte. »Mit ein bisschen Glück haben wir einige der Partygäste in unserer Datei.«
Die Luft in dem engen Wohnzimmer war abgestanden. Überall standen Gläser, Flaschen oder überquellende Aschenbecher. Nachtigall entdeckte zwischen den Zigarettenkippen Reste von Joints. Die Sonne schien durch schmutzige Scheiben und das Licht fiel erbarmungslos auf graue Essensreste, verdrecktes Geschirr, fleckige Polster und einige größere Lachen auf dem Boden, die wie Erbrochenes aussahen. Ein widerlicher Geruch lag über dem ganzen Raum, süßlich und Ekel erregend.
Ging Jule auch zu solchen Partys, die in irgendwelchen schmuddeligen Wohnzimmer, in denen gekifft, getrunken und wer weiß noch was, veranstaltet wurde? Nachtigall hoffte, so etwas wäre ihr zuwider, aber es wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewusst, dass er über vieles, was seine Tochter tat, nicht Bescheid wusste. Da ging es ihm nicht besser als den meisten anderen Vätern.
»Na sieh mal einer an, wenn das keine kleinen Glücksbringer sind!« Paul Feddersen vom Erkennungsdienst hielt ein transparentes Tütchen mit bunten Tabletten hoch.
»Tolle Party, alle Achtung!«
»Das Labor …«
»… soll für euch rauskriegen, was das für ein Zeug ist. Schon klar.« Damit schob Paul Feddersen das Tütchen in einen zusätzlichen Beutel und beschriftete ihn sorgfältig.
Ein strubbliger Rotschopf erschien in der Tür.
»In der Toilettenschüssel schwammen drei benutzte Kondome, im Mülleimer haben wir zwei weitere gefunden und im Schlafzimmer liegen lauter aufgerissene Packungen. Einen Teil der Flecken auf der Polsterung der Couch halten die Kollegen für Sperma, alles andere muss noch untersucht werden.«
»Ab damit ins Labor «, wies Peter Nachtigall den Kollegen an.
»Das war wohl eher eine Orgie als eine Party. Bestimmt gab es am Ende Streit und einer der Gäste hat die junge Frau im Alkoholnebel erstochen.« Albrecht Skorubski war erleichtert. Ein klarer Fall. Der Täter würde wohl schnell gefunden werden. Endlich mal eine gute Presse für die Polizei.
»Das glaube ich nicht. Für mich sieht es nach einem überlegt durchgeführten Mord aus. Glaub mir, so einfach ist die Lösung nicht«, orakelte Peter Nachtigall düster und Skorubski zog kritisch eine Braue hoch.
»Wieso? Intuition?«
»Ja, vielleicht. Ich glaube, dass die Verletzungen absichtlich so gesetzt wurden, damit sie langsam verblutet. Sie sollte leiden!«
Albrecht Skorubski seufzte ergeben. Er hatte in den vielen Jahren ihrer Zusammenarbeit gelernt, dass Nachtigall sich in solchen Fragen nur selten täuschte. Ein wenig angeschlagen, versuchte er sich von der Vorstellung zu verabschieden, dieser Fall sei schnell und unkompliziert zu lösen.
4
»Herr Engel, können Sie mir etwas mehr über das Opfer erzählen? Um den Täter möglichst schnell zu fassen, müssen wir uns ein genaues Bild von der jungen Frau und ihren Lebensumständen machen können.«
»Tja, was soll ich Ihnen dazu sagen?« Samuel Engels Stimme klang brüchig. Sie saßen in seinem Wohnzimmer, in dem es muffig und staubig roch. Die verschlissene Couchgarnitur, schätzte Michael Wiener, war alt, die Tapete vergilbt und an einigen Stellen löste sie sich von der Wand. Die Schäden würden bald unübersehbar sein. Alles hier wirkte vernachlässigt, selbst der Garderobenspiegel war trübe geworden und von Wand zu Wand hatten fleißige Spinnen eifrig dicke Gespinstfäden gezogen, an denen der Staub haften blieb. Dunkle Vorhänge sperrten das helle Sonnenlicht so komplett aus, als hause hier ein Vampir.
»Die Kleine war halt ein bisschen ungestüm. Sie hat ganz gerne Leute zu sich eingeladen und – wie’s bei den jungen Dingern heute so ist – wurde es schon mal ein wenig lauter. Deswegen haben die anderen sie auch nicht leiden können.«
»Sie war also nicht sehr beliebt
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