Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
aus dem zweiten Stock den Kopf und wischte sich mit zitternden Fingern ein paar Tränen aus den Augen.
»Wenn Sie schon bei den anderen im Haus waren, wissen Sie auch bereits, wie die über sie dachten.«
Michael Wiener nickte und reichte ihr einen Liter Milch aus einer der Einkaufstüten. Sanft lächelnd verstaute sie die Packung im Kühlschrank.
»Wissen Sie, Sie müssen mir nicht dabei helfen. Ich kann die Sachen auch später wegräumen.«
»Ach wo – wenn ich Ihnen schon Fragen stellen muss, kann ich Ihnen dabei auch ein wenig zur Hand gehen.«
»Ihre Oma hat Glück so einen Enkel zu haben.« Der junge Mann errötete.
»Danke. Meine Oma ist aber auch ganz besonders nett.«
»Sie mögen Ihre Oma sehr.« Die schmächtige alte Dame lächelte ihn schelmisch an. »Sie wirken so erfahren im Umgang mit älteren Damen. Tee?«
Sie setzte Wasser auf.
»Die Kleine war den Leuten hier ein Dorn im Auge. Angeblich hörte sie zu laute Musik – ja, Altersschwerhörigkeit kann auch ein Segen sein – diese ach so wichtige Kehrwoche hat sie ignoriert, bei ihr gingen immer viele Menschen ein und aus. Manchmal ziemlich gammlige Typen, ärmlich, runtergekommen. Das hat die anderen Mieter gestört und sie haben sogar versucht sie rauszuekeln. Aber mal ernsthaft: Wo kommen wir denn da hin, wenn die anderen Mieter anfangen einem vorzuschreiben, wer zu Besuch kommen darf und wer nicht! Und nun hat sie also jemand ermordet.«
»Kennen Sie denn diese Besucher näher? Vielleicht vom Sehen?«
»Nein, aber vielleicht würde ich den einen oder anderen wieder erkennen. Wenn da so ein frierendes, abgerissenes Bündel vor ihrer Tür stand, habe ich mich oft gefragt, ob es denn da keine Mutter gibt, die für den Jungen sorgen könnte – oder irgendeine staatliche Stelle, die ihm helfen würde. Aber so.«
»Es kamen also wirklich Streuner aus dem Park zu Frau Petzold?«
»Ja. Regelmäßig. Auch obdachlose Frauen waren dabei.«
»Aha. Hat sie denen geholfen – oder was wollten die bei ihr?«
Maria Gutmann sah ihn lange nachdenklich an, als suche sie die passende Formulierung. Dann sagte sie:
»Feiern und das Elend vergessen, denke ich.«
5
»Herr Nachtigall?«
»Ja – hier drüben!« Sein hochroter Kopf tauchte hinter der Couch auf. In der Hand hielt er einen braunen DIN-A-5 Umschlag, den er zwischen den Polstern des Sofas herausgezogen hatte. Er war dick und fühlte sich hart an. Flüchtig warf Peter Nachtigall einen Blick hinein, während er Paul Feddersen zuhörte.
»Im Schlafzimmer haben wir Psychopharmaka gefunden. Vielleicht wissen die Eltern, bei wem sie in Behandlung war.«
»Antidepressiva?«
In dem Umschlag steckten Fotos. Die würden sie sich später ansehen. Sie waren gut versteckt gewesen – niemand bewahrte seine Urlaubsfotos an solch einem Ort auf. Ein Geheimnis also? Peter Nachtigalls Gedanken schweiften so weit ab, dass er regelrecht zusammenfuhr, als Paul Feddersen seine Frage beantwortete.
»Sieht so aus. Auf jeden Fall verschreibungspflichtig.«
»Danke, Paul.«
»Das werden wir bei der Obduktion erwähnen. Möglicherweise wirkte das Medikament in Zusammenhang mit Alkohol betäubend. Dann hatte ihr Mörder noch leichteres Spiel.«
»Ihr Handy isch verschwunde«, meinte Michael Wiener, der wieder zu seinem Team gestoßen war, enttäuscht. »Wir werde wohl einen Gesprächsnachweis beantrage müsse und dann versuche die Nummern zuz’ordne.«
»Was sagen die Mieter?« Gedankenverloren schob Peter Nachtigall den Umschlag in seine Jackentasche.
»Es gibt hier insgesamt zehn Wohnungen. Bis auf zwei sind sich alle Mieter einig: Um die ist’s nicht schade. Ganz schön deprimierend. Und natürlich hat auch keiner was gehört.«
»Nicht sehr beliebt bei der Hausgemeinschaft!«
»Also manche glaub ich, haben sie wirklich aus tiefstem Herzen gehasst.«
»Um die ist es nicht schade!«, murmelte Peter Nachtigall hilflos. »Wie kann man denn so etwas über einen anderen sagen – noch dazu, wenn er gerade Opfer eines Mordanschlags geworden ist? Was sind denn das für Menschen?«
»Was ist denn bei euch los?«
Luise Markwart hielt Maria Gutmann an, die vergeblich gehofft hatte ungeschoren vorbeihuschen zu können.
»Die Friederike Petzold ist in ihrer Wohnung ermordet worden. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Ach, um die kleine Hure ist es nicht schade! Über kurz oder lang war bei der so was zu erwarten. Seid nur froh, dass jetzt das ganze Assipack nicht mehr bei euch im Haus rumlungert!«
Maria
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