Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
im Haus?«
»Ha!«, lachte der alte Mann unfroh, »nicht beliebt ist eine nette Umschreibung! Die anderen konnten das Mädchen nicht ausstehen! Immer wieder gab es bei der Wohnungsgesellschaft Beschwerden über sie. Aber ich habe immer zu ihr gehalten. In ein Haus voller alter Menschen gehört doch auch ein bisschen junges Gemüse. Sonst verlieren wir Greise auch noch den allerletzten Kontakt zum Leben.«
Während er sprach, gestikulierte er wild mit seinen knochigen Händen und seine vertrockneten Züge wurden lebhaft. Dann, als er sich an den schrecklichen Anblick der Ermordeten erinnerte, verschwand dieses zaghafte Leuchten aus seinen Augen und er wirkte wieder grau und einsam.
»Was für Leute kamen denn zu ihren Partys?«
»Auch so ein Streitpunkt. Es kamen eben die jungen Leute aus dem Park. Die alten Zimtzicken, die hier im Haus wohnen, haben dann die ganze Nacht nicht schlafen können, weil sie Angst hatten, die kämen nach der Party bei ihnen vorbei um sie auszurauben! Nein, nein. Beliebt war sie weiß Gott nicht in diesem Haus.« Er schüttelte den Kopf.
»Frau Junghans, Sie wohnen auf derselben Etage wie das Opfer, was können Sie uns über Friederike Petzold sagen?«, begann Michael Wiener höflich mit der Befragung der Nachbarin des Opfers. Er war froh hineingebeten worden zu sein – einige der anderen Mieter hatten ihn nur kurz an der Wohnungstür abgefertigt. Sie waren sich einig gewesen: Dazu gibt es nichts weiter zu sagen, die hat nichts getaugt und es ist nicht schade um sie. Wer das Schicksal zu oft herausfordert, den erwischt es eben.
Dann hatten sie die Türen wieder geschlossen und ihn etwas ratlos im Flur stehen lassen.
Er sah sich in der freundlichen Wohnung von Frau Junghans um. Licht flutete durch streifenfreie Fenster, die Möbel waren modern und in einem hellgrünen Ton gehalten. Zarte Regale zogen sich an den Wänden entlang und boten Platz für eine große Anzahl Bücher. Kaum zu glauben, dass die Wohnung den identischen Zuschnitt haben sollte, wie die finstere Höhle von Samuel Engel.
»Obwohl man über Tote nicht schlecht sprechen soll, muss ich Ihnen aber doch sagen, dass es mit diesem jungen Mädchen als Nachbarin kaum auszuhalten war! Das hätten Sie ohnehin ganz schnell herausgefunden – die ganze Straße hat unter ihrer Anwesenheit gelitten. Noch eine Tasse Kaffee?«
Michael Wiener sah zu, wie sie mit perfekt manikürten Fingern am Verschluss der Thermoskanne hantierte und dann die geblümten Tassen wieder auffüllte.
»Wie kann eine ganze Straße unter ihr gelitten haben?«
»Na – durch sie ist dieses ganze asoziale Pack aus den Parks doch überhaupt erst hierher gekommen! Früher gab’s so was nicht. Sie wissen schon, ich meine diese jungen Männer, die Ratten in ihren Parkataschen halten, zu faul zum Arbeiten sind und nur in den Tag hinein leben – auf Kosten der Allgemeinheit!«
Ihre Empörung war unübersehbar echt. Selbst ihre Wangen hatten sich mit einer zarten Röte überzogen.
»Und bevor Frau Petzold eingezogen ist, gab’s das nicht?« Michael Wiener sah sie skeptisch an.
»Nein, nie. Aber seit sie hier wohnt, treibt sich dieses finstere Gesindel den ganzen Tag lang in unserer Straße ’rum. Meine Mutter sagte zu solchen Typen immer Lumpenpack – und das trifft es auch ganz genau. Sie als Polizist wissen es sicher: Wo die auftauchen, wird gestohlen und schließlich wohnen hier überwiegend ältere Menschen! Wie leicht kann einem da mal die Handtasche entrissen werden!«
»Ist so etwas denn vorgekommen?«
»Na ja – man liest und hört doch ständig davon. Sicher wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen!«
Michael Wiener räusperte sich.
»Hat sie denn öfter solche Partys gefeiert?«
»Ja, jedes Wochenende. Und immer mit dieser lauten Hottentottenmusik! Grauenhaft! Es war ein einziges Gegröle! Ich hatte sogar überlegt an den Wochenenden zu meiner Schwester zu fahren um mir das zu ersparen – aber wenn solche Typen im Haus sind, kann man seine Wohnung nicht guten Gewissens alleine lassen. Und dann stapft dieses Gesocks mit seinen verdreckten Schuhen die Treppe hoch – und immer musste ich dann den Dreck wegputzen! Schließlich hat sich die junge Dame nicht einmal an der Kehrwoche beteiligt. Wahrscheinlich wollte sie sich ihre zarten Fingerchen nicht schmutzig machen. Also, wenn Sie mich fragen: Um die ist es nicht schade!«
Vor Wut wurde sie direkt kurzatmig.
»Ach, ja. Die arme Kleine.«
Fassungslos schüttelte Maria Gutmann
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