Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Nachtigall trat an den Tresen heran und sie tippte seine persönlichen Daten in den Computer ein. Die langen Fingernägel, die kunstvoll lackiert waren, klackten dabei leise auf der Tastatur.
Er sah sich um.
Eigenartige Idee so eine Sporteinrichtung in einer alten Jugendstilvilla unterzubringen, dachte er, aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Ein geschwungenes Treppenhaus führte zu den einzelnen Therapieeinheiten, über einen Glasgang erreichten die Patienten und Kunden den Umkleidebereich im modernen Anbau mit Bad und Sauna. Es würde eine Weile dauern, bis er sich hier zurechtfand, überlegte er, trotz der Wegweiser.
»Hier ist es schon, Herr Nachtigall. Sie haben einen Termin zum Fitnesscheck um neunzehn Uhr in der Trainingstherapie.« Sie erhob sich und wies mit dem Arm auf einen Gang, der nach links abzweigte. »Sie folgen dem Gang. Bei den Schränken beginnt der Barfußbereich, dort bitte die Straßenschuhe ausziehen. Danach sehen Sie schon das Kneipp’sche Tretbecken. Die Herrenumkleidekabine befindet sich auf der linken Seite. In die Trainingstherapie gelangen Sie über die Treppe an der Stirnseite des Beckens. Dort melden Sie sich bitte bei einem der Physiotherapeuten. Der erklärt Ihnen dann, wie es weitergeht«, strahlte sie. Nachtigall bedankte sich und machte sich gehorsam auf den Weg.
Je näher er den Umkleidekabinen kam, desto flauer wurde sein Gefühl im Magen. Er sah Menschen in Trainingsanzügen vorbeigehen und fragte sich, warum die wohl hier waren. Manche sahen nicht gerade so aus als hätten sie Probleme mit Übergewicht. Vielleicht war er überhaupt der Einzige mit Gewichtsproblemen?
Als er sich die Schuhe auszog und in die neuen Sportschuhe schlüpfte, hörte er eigenartige Geräusche hinter einer Tür. Vogelgezwitscher? Sommerbrise? Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf das Schild an der Tür und stellte fest, dass sich dahinter ein Solarium verbarg. Schlagartig fiel ihm ein, dass Sabine davon erzählt hatte. Es gab Solarien mit Geräuschauswahl und Dufteinstellung. War das hier auch so ein Ding?
Rasch ging er weiter und fand den Umkleidebereich der Herren. Kurze Zeit später erschien er wieder in schwarzem Sportdress und sah sich nach der erwähnten Treppe um. Im ersten Stock stand die Tür zum Geräteraum offen und er trat zögernd ein. Sofort sprach ein junger Mann in blauem T-Shirt ihn an.
»Kann ich helfen?«
»Danke, Herr…«, er las den Namen auf dem Shirt ab. »Kaminzki. Mein Name ist Peter Nachtigall.
Ich habe einen Termin zum Fitnesscheck.«
»Gut, da sind sie bei mir genau an der richtigen Adresse. Ich bin Ihr Trainer. Jan Kaminzki.«
Geschmeidig wand sich der Physiotherapeut um einen Aktenschrank und verschwand hinter einer geschwungenen Theke. Als er wieder auftauchte, hatte er eine Aktenmappe und ein Blutdruckmessgerät in der Hand.
»Wir setzen uns erst einmal hier in diese ruhige Ecke und unterhalten uns ein bisschen.«
Der junge Mann war bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so jung, stellte Nachtigall beruhigt fest. Mitte dreißig, Ende dreißig? Er war um die einssiebzig groß und nahm sich neben dem Zweimetermann sehr zierlich aus. Aber Nachtigall registrierte das Spiel der Muskeln, wenn er sich bewegte. Kein Gramm Fett, alles Muskulatur, stellte der Hauptkommissar ein wenig neidisch fest.
Es gehe darum die Ziele des Trainings genau festzulegen, damit später auch Fortschritt und Erfolg dokumentiert werden könnten, informierte ihn Jan Kaminzki und sie nahmen Platz.
»Gibt es gesundheitliche Probleme, die wir bei der Planung berücksichtigen müssen?«
»Naja, ich bin keine zwanzig mehr.«
»Bluthochdruck? Diabetes? Arthrose? Arthritis?«
»Bluthochdruck. Aber der ist gut eingestellt.«
Der Physiotherapeut legte ihm die Manschette um den Arm und überprüfte die Werte.
»130 zu 75. Ist okay.«, lächelte er zufrieden und trug die Werte ein.
»Haben Sie früher Sport getrieben?«
»Nein. Immer nur, wenn ich musste«, räumte Nachtigall ein und fühlte sich plötzlich als Lusche enttarnt. Heimlich schimpfte er auf seine Schwester, denn nun musste er alle seine Schwächen offenbaren. Er war doch bisher auch gut ohne dieses Fitnessgetue ausgekommen! Er war so mit seinem Ärger beschäftigt, dass er die letzte Frage nicht mitbekommen hatte. Toll, jetzt wird er gleich glauben, ich sei dement oder brauche ein Hörgerät! Er war auf sich selbst wütend.
»Entschuldigung?«
»Was versprechen Sie sich vom Training hier?«, wiederholte Jan Kaminzki
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