Seelenrächer
lagen alte Maschinenteile herum, außerdem gab es dort ein Laufbandsystem, etliche Winden und Flaschenzüge sowie ein paar Reste Maschendrahtzaun, die vom Salz rostbraun gefressen waren. Abgesehen vom Echo seiner eigenen Worte war nichts zu hören: nichts als das Heulen des Windes und das Tosen der sich brechenden Wellen. Quinn stand da und ließ den Strahl seiner Taschenlampe über den Betonboden gleiten, obwohl dort ebenfalls niemand versteckt sein konnte. Hier war kein Platz, um eine Zunge zum Schwellen oder Lippen zum Aufspringen zu bringen, kein Platz für Blut aus zerstörten Venen. Quinn suchte jeden Zentimeter des Bodens und der Wände ab, er leuchtete sogar zur Decke hinauf.
Aber da war nichts.
Eva war nicht dort.
Montag, 1. September, 20:45 Uhr
In ihrem Loch im Boden kämpfte Eva sich langsam auf die Knie. Das war nicht einfach. Über sich spürte sie das Gewicht der Bodendielen, das Gewicht alten Linoleums und – wie es schien – das Gewicht des Himmels.
Vielleicht hatte sie eine Weile geschlafen oder war kurzzeitig nicht bei sich gewesen. Sie wusste es nicht, ihr war jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Aber sie träumte von ihren Kindern, von Jess und Laura, und auch von Danny. Jedes Mal, wenn sie die verbundenen Augen aufschlug, hatte sie das Gefühl, die drei zu sehen.
Ansonsten kreisten ihre Gedanken nur um Wasser.
Sie lechzte nach etwas zu trinken. Ihre Zunge fühlte sich schon so dick und trocken an, dass sie kaum noch Luft bekam.
Immerhin hatte sie es geschafft, ein Loch in das Klebeband zu beißen, wenn auch nur ein ganz kleines. Es war ihr gelungen, das klebrige Zeug zwischen ihre Lippen zu saugen und dann mit den Zähnen zu bearbeiten.
Nun befand sie sich auf den Knien, aber da ihre Arme am Rücken gefesselt waren, konnte sie das Gleichgewicht nicht halten. Ihr Gesicht wurde in die Erde gedrückt, und sie hatte bereits schlimme Nackenschmerzen. Während sie sich mit der Stirn so gut wie möglich abstützte, versuchte sie, das bisschen Regenwasser aufzusaugen, das sich unter ihr angesammelt hatte.
Es waren wenige Tropfen, nur ein Hauch von Wasser. Ihre Zunge fühlte sich immer noch an wie ein Ballon. Würgend hustete sie in das Klebeband hinein. Sie bekam keine Luft mehr. Ein trockenes Schluchzen stieg in ihr hoch, und in ihren Augen brannten Tränen, die gar nicht da waren.
Außerdem kroch ihr allmählich die Kälte in die Knochen. Sie fragte sich, ob sie an Unterkühlung sterben oder vorher verdursten würde.
Unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft versuchte sie, die Bodendielen hochzustemmen, das Gewicht wegzuschieben, damit sie sich irgendwie aus diesem Grab herauskämpfen konnte. Doch sie fand keinen Halt und rutschte immer wieder ab. Sie kam sich vor wie in einem Kokon. Wie eine Fliege im Larvenstadium. Sie musste wieder an Danny denken. Wann würde sie endlich bei ihm sein? Rief er schon nach ihr? War das seine Stimme, die sie da hörte? Die Stimme ihres einzigen Sohnes, den sie an einen rücksichtslosen Raser verloren hatte, einen Verbrecher, den ihr Mann einfach nicht erwischte?
Brachte es Danny denn zurück, wenn sie den Kerl endlich fassten?
Brachte es ihren Mann zurück?
Sie hätte schwören können, dass sie Stimmen hörte. Verzweifelt versuchte sie zu schreien, um die Leute wissen zu lassen, dass sie da war. Aber ihre eigene Stimme war nur ein leises Gurgeln, ein winziges, kaum hörbares Geräusch, verloren für die Welt und auch für sie selbst.
Obwohl sie weiter angestrengt lauschte, begann ihre Konzentration nachzulassen. Die Stimmen schienen ebenfalls nachzulassen: Sie wurden allmählich immer schwächer, und als sie schließlich ganz erstarben, war nur noch die Uhr zu hören.
Plötzlich aber konnte Eva wieder denken, und ihr wurde klar, was sie gehört hatte. Dort draußen rief niemand nach ihr. Es war nur das Geschrei einer Möwe gewesen, einsam und traurig wie der Wind.
Montag, 1. September, 23:55 Uhr
Der Helikopter setzte sie wieder am Garda-Präsidium in Phoenix Park ab. Quinn fühlte sich inzwischen schwach und leer, als wäre das Leben aus ihm herausgehöhlt worden und nur noch eine Hülle übrig.
In der Einsatzzentrale brannte Licht, und oben bemannte eine neue Schicht Detectives die Telefone. Wie aufs Stichwort blickten sie alle mit grimmiger Miene hoch, als Quinn und Murphy durch die Tür traten. Maguire kam ihnen mit der Jacke über der Schulter entgegen.
»Wo ist Doyle?«, fragte ihn Quinn.
Maguire zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Er ist
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