Seelenrächer
seinem Whiskey. »Ich habe als Polizist immer draußen auf der Straße gearbeitet und vielleicht zu sehr auf mein Bauchgefühl gehört, genau wie Joe Doyle – auch wenn meine Verhörtechnik ein wenig subtiler sein dürfte.«
Er gestikulierte einen Moment, die Handfläche nach oben gewandt, ehe er fortfuhr: »Ich weiß nicht so recht, was ich von diesen ganzen Täterprofilen halten soll. Vermutlich haben sie durchaus ihre Berechtigung. Andererseits, wann hat es in diesem Land schon mal einen richtigen Serienmörder gegeben, außer vielleicht damals in den Siebzigern diesen Engländer Shaw?« Er verzog den Mund. »Wir sind hier schließlich nicht in den Staaten. Liam Ahern, unser forensischer Psychiater, wird dir bestätigen, dass jeder Psycho erwischt werden möchte. Vielleicht wollen diese Kerle letztendlich mit dem Töten aufhören, keine Ahnung. Auf jeden Fall aber wollen sie, dass jemand weiß, dass sie es waren. Anerkennung, Pat. Das liegt in der Natur des Menschen.«
Maguire zog die Augenbrauen hoch. »Demnach bist du also der Meinung, ein Serienkiller möchte dich wissen lassen, dass er dort draußen sein Unwesen treibt? Ich dachte, du und Doyle, ihr hättet bei euren Ermittlungen im Fall von Mary einen Zusammenhang mit den andern fünf Entführungen ausgeschlossen?«
»Ja, haben wir.« Quinn massierte sich mit den Fingerspitzen die Augen. »Im Grunde glaube ich auch gar nicht, dass es tatsächlich ein und derselbe Mann ist. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Mord an Mary nichts mit den anderen fünf Fällen zu tun hat, aber wie es aussieht, hat er jede Menge mit dem zu tun, was Eva passiert ist.«
Maguire stand auf. »Vielleicht ist jetzt trotzdem nicht die richtige Zeit dafür, Moss? Du wirkst völlig erledigt. Du solltest ein Stündchen die Augen schließen und dir die Akte morgen früh ansehen.«
»Ja, wahrscheinlich hast du recht.« Quinn warf einen besorgten Blick auf die Uhr. Dabei spürte er ganz deutlich, wie sein Magen sich erneut verkrampfte. »Aber wir haben nur bis Mittwochabend Zeit. Danach könnte es zu spät sein.«
»Das weißt du nicht mit Sicherheit.«
»Nein, das weiß ich nicht«, entgegnete Quinn und hielt dabei die Akte hoch, »aber laut dem Kerl, der mich angerufen hat, weiß Mary Bescheid.«
Dienstag, 2. September, 01:00 Uhr
Als Patrick ging, lag Quinn mit geschlossenen Augen auf dem Sofa. Sozusagen als Zeugnis für seinen Zustand stand die halb geleerte Whiskey-Flasche vor ihm auf dem Couchtisch, und in einem Glasaschenbecher lagen ein paar zerdrückte Zigarettenstummel. Patrick ließ einen letzten Blick durch das Wohnzimmer mit den Kiefernmöbeln schweifen, über den viktorianischen Kamin und die pastellfarbenen Drucke an den Wänden. Ihm ging durch den Kopf, mit wie viel Fingerspitzengefühl Eva einen Raum gestaltete. Sie war einfach diese Sorte Frau: sanft und fein. Die Aura von Schönheit, die sie umgab, war auch noch in ihrer Abwesenheit zu spüren. Er musste daran denken, wie oft sie beide unter vier Augen in der Küche gesessen hatten. Dabei hatte sie ihm Dinge anvertraut, die sie noch keinem anderen Menschen jemals gesagt hatte. Nach einem weiteren raschen Blick auf ihren Mann verließ Patrick das Haus und eilte zu seinem VW hinüber, um heimzufahren, in Richtung Süden.
Im Portobello-Hotel war es still. Während der Woche schallte um diese Uhrzeit keine Musik mehr auf die Straße. An den Wochenenden spielten dort immer Bands, aber seine Wohnung lag weit genug entfernt, ein Stück Richtung Charlemont Street, so dass er dadurch nicht gestört wurde. Ein mit Bäumen bepflanzter Grünstreifen trennte die georgianischen Häuser vom Kanal. Dieses Grün verlieh der Gegend ein vorstädtisches Flair, das Patrick gefiel.
Er musste an den kommenden Tag denken, die Besuchstermine, die er in Mountjoy vereinbart hatte. Anschließend würde er sich nach »Stab City« begeben und ins »Back of Shaws«. Den Spitznamen hatte das Gefängnis bekommen, weil es ganz in der Nähe des alten Kaufhauses Shaws stand. Er ließ den Vormittag Revue passieren, und vor seinem geistigen Auge tauchte wieder Karl Crame aus Kilmahon auf, dem er versprochen hatte, seine Freundin aufzusuchen und mit ihr zu reden.
Nach dem Gespräch, das er gerade mit Quinn geführt hatte, konnte er nicht umhin, auch an Conor Maggs zu denken, und das wiederum brachte ihn auf Quinns Spitzel im Knast – einen Mann, der dort mit Mönchen und Priestern herumhing, die wegen Kindesmissbrauchs einsaßen, aber auch
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