Seelenraub
Trinkgeld anzunehmen, aber Simi hatte darauf bestanden, es zu bezahlen.
»Besser?«, fragte ihre Freundin strahlend wie die Mittagssonne. Das tat sie immer, wenn sie ihren Willen durchgesetzt hatte. Riley versuchte noch einmal, sie finster anzustarren, aber sie brachte nicht das richtige Maß an Ärger auf.
»Ja.« Sie musste zugeben, dass die neue Frisur klasse aussah; im Großen und Ganzen war das Haar so lang wie vorher, aber raffiniert gestuft. Und das Allerbeste war, dass ihre Haare nicht länger nach verbranntem Tabernakel rochen. Das allein war schon eine Wohltat.
Nach einer Weile setzten sie sich auf die Treppe vor dem Suntrust-Gebäude und sogen den Sonnenschein auf wie menschliche Solarzellen.
»Du musst es regelmäßig nachschneiden lassen, oder es sieht ganz schnell ziemlich furchtbar aus«, riet Simi ihr, während sie mit ihrem dunkellila Lippenstift herumhantierte, dessen Farbton sich
Namenlose Sünde
nannte. »Du musst heiß aussehen, jetzt, wo drei Typen ein Auge auf dich geworfen haben.«
»Drei?« Offensichtlich funktionierte die Mathematik ihrer Freundin anders als Rileys.
Simi schloss die Kappe des Lippenstifts mit einem Klick und warf ihn zurück in ihre Fledermaustasche.
»Der süße blonde Dämonenfänger mit den blauen Augen«, sagte sie und hob einen Finger. Auch ihr Nagellack war lila und glitzerte im Sonnenlicht. »Der andere muskulöse blonde Fänger, der dir Genesungskarten schickt«, sagte sie und fügte Finger Nummer zwei hinzu. Sie hob den dritten Finger. »Und dieser umwerfende ›Wo hast du mein Leben lang gesteckt‹-Typ mit dem rabenschwarzen Haar und den dunklen Augen.«
»Du liest zu viele Liebesromane«, erwiderte Riley säuerlich.
»Du weißt gar nicht, wie gut du es hast«, konterte Simi. »Jeder von den Kerlen ist klasse. Ich würde den dunklen und gefährlichen nehmen. Er ist echt unglaublich.«
»Das war ja klar.« Simi war jemand, der gerne Grenzen austestete. »Simon reicht mir vollkommen, herzlichen Dank auch.«
»Natürlich. Du suchst ständig Sicherheit und Zuverlässigkeit, aber das kann dir in Wirklichkeit kein Mann bieten. Dann kannst du dich genauso gut einmal in deinem Leben für einen Wilden entscheiden.«
»Simon ist genau der Richtige für mich«, widersprach Riley. »Ori nicht.« Es war mehr, als sie ertragen konnte, überhaupt in diese Richtung zu denken.
»Und was ist mit Beck?«, fragte Simi und runzelte die Stirn.
»Der Dorftrottel? Hast du sie nicht mehr alle? Da wären wir ja zu dritt – er, ich und sein anmaßendes Ego. Eindeutig zum Scheitern verurteilt.«
Simi lachte, doch Sekunden später verschwand ihr strahlendes Lächeln. Sie ergriff Rileys Hand und drückte sie. »Weiß du, du machst unglaubliche und gefährliche Sachen, aber ich möchte nicht, dass du vergisst, wer du eigentlich bist.« Sie wurde wieder munter. »Mit deinen neuen Haaren wirst du den Dämonen in den Arsch treten und dabei auch noch phantastisch aussehen. Das ist Riley Blackthorne, wie sie leibt und lebt.«
Ein Klumpen bildete sich in ihrer Kehle. »Danke.« Sie umarmten sich, und als sie sich wieder losließen, schimmerten Tränen in Simis Augen.
»Ich will nicht noch einmal Bilder von dir im Fernsehen sehen«, befahl ihre Freundin. »Es sei denn, du gewinnst einen Preis oder so was.«
»Das gibt’s nicht für Dämonenfänger.«
»Noch nicht«, sagte Simi und hakte sich bei Riley unter. »Und jetzt erzähl mir von deinem süßen Freund mit den blauen Augen …«
Wie die meisten Orte in Atlanta durchlebte auch Meister Harpers Haus gerade seine zweite Reinkarnation. Die ehemalige Autowerkstatt war jetzt sein Zuhause, ein in die Jahre gekommener, einstöckiger Betonkasten mit zwei Doppeltüren, die zum alten Servicebereich führten. Harper hatte ein paar Änderungen vorgenommen und eine kleine Wohnung hinter das ursprüngliche Büro angebaut, aber es blieb eine zugemüllte Bruchbude, in der es nach alten Reifen, Schmierfett und Dämonen stank.
Egal, wie Riley die Sache betrachtete, sie hatte keine gute Zeit bei Meister Harper. Er hatte ihren Dad aus unbekannten Gründen gehasst, war ein Säufer und besaß ein explosives Temperament. Er war nur allzu schnell dabei, auf seine Lehrlinge loszugehen, wenn er glaubte, er würde seinen Willen nicht bekommen, und dabei hinterließ er manche blaue Flecken. Seit dem Brand hatte Riley ihn nicht mehr gesehen. In was für einer Stimmung würde er sein? Wenn sie Glück hatte, würde er betrunken sein und schlafen, dann
Weitere Kostenlose Bücher