Seelenraub
»Er hat gesagt, er würde die anderen am Leben lassen, wenn ich mich opfere.«
Harper richtete den Blick aus den blutunterlaufenen Augen auf sie. »Und du hast dem verdammten Ding geglaubt?«, schimpfte er. »Gott, was bist du für eine dumme Kuh.«
»Es war das Risiko wert«, gab Riley zu. »Nachdem Simon …«
Harper ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und zuckte wegen seiner gebrochenen Rippen zusammen. »In Zukunft hörst du auf das, was ich dir sage.«
»Ja, Sir«, murmelte sie. »Was soll ich machen, bis es Ihnen wieder bessergeht?«
Ihr Meister rieb mit seinen dicken Fingern über die Bartstoppeln am Kinn. »Sieh zu, dass du jeden Morgen hier aufkreuzt. Wenn es einen Einer zu fangen gibt, erledigst du das. Wenn nicht, dann finde ich schon was, um deinen Arsch aus Ärger rauszuhalten.«
Da hatte sie gar keinen Zweifel.
»Für heute hab ich genug von dir«, sagte er und stellte mit der alten Fernbedienung den Fernseher lauter. »Schwirr ab.«
Am späten Nachmittag durchstreifte Beck die Dämonenhochburg. Seine Reisetasche mit den Arbeitsutensilien war frisch aufgefüllt. Er war scharf darauf, sich auf die Jagd zu machen, und er würde gewiss nicht pingelig sein, wie viele von den Dämonen, die er einfing, noch am Leben waren, wenn er sie an den Händler verkaufte. Wenn die Dämonen ihm einen Grund gaben, würde er sie töten, ohne zu zögern.
Beck wusste, dass er sich nicht allein in diesem Teil der Stadt aufhalten sollte, aber die Zeit wurde knapp. Die Dämonenjäger würden nach ihrer Ankunft jeden Dämon umbringen, den sie in Atlanta fanden, egal, ob groß oder klein. Wenn er genug Geld zur Seite legen wollte, um über die Durststrecke zu kommen, nachdem die Jäger hier aufgeräumt hatten, musste er jetzt zuschlagen.
Sein Plan, so viele Dämonen wie möglich zu fangen, hatte allerdings zwei Haken. Erstens war er nicht gerade in Topkondition, nicht mit der noch nicht verheilten Beinwunde. Und zweitens gab es keine Dämonen. Normalerweise entdeckte er bei jedem Besuch in der Hochburg mindestens ein oder zwei Ausgeburten der Hölle, manchmal sogar fünf in einer Nacht. Heute Abend dagegen bekam er nur eine räudige, hinkende Katze und ein paar zerzauste Tauben zu Gesicht. Die waren eigentlich selten, sobald die Dreier auf Beutezug waren.
Dämonenhochburg – so nannten die Fänger Five Points, eine Gegend im Süden Atlantas, die nie richtig auf die Beine gekommen war. Nicht einmal das Casino, das man vor wenigen Jahren errichtet hatte, lief besonders gut, nicht bei der miesen Wirtschaftslage. Mit der Zeit und durch Vernachlässigung hatten sich über den alten Heizungskellern unzählige Löcher in den Straßen und Gehwegen von Five Points gebildet. Da die Stadt kein Geld hatte, um sie zu flicken, war diese Gegend jetzt die Heimat für Dämonen dritten Grades. Die Gastro-Dämonen lebten in den Löchern und fraßen alles, was sie herunterschlingen konnten, sogar Glasfaserkabel. Es spielte keine Rolle, ob es sich um einen streunenden Hund, eine Ratte oder einen Dämonenfänger handelte: Wenn etwas so aussah, als könnte es gefressen werden, dann stürzten sich die Dreier darauf.
Beck wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Umgebung zu. Tagträumen war hier unten ein sicherer Weg, um direkt im Magen eines Höllendieners zu landen. Als er an einem überquellenden Müllcontainer vorbeikam, rümpfte er die Nase. Um die maßlos übertriebenen städtischen Müllgebühren nicht zahlen zu müssen, luden die Leute ihren Abfall hier ab, selbst auf die Gefahr hin, als Abendmahlzeit für einen gefräßigen Dreier zu enden. Der einzige Vorteil war, dass der vor sich hin rottende Müll ein erstklassiger Köder für Gastros war.
Aber es gab keine Dämonen, die er hätte hervorlocken können. Zumindest nicht hier. Beck hatte Berichte gehört, dass sie überall in der Stadt gesichtet wurden, aber die hatten allesamt nach Märchen geklungen. Dämonen wiesen bestimmte Verhaltensmuster auf, und manche der Geschichten klangen zu abwegig, um wahr zu sein. Zum Beispiel die von einem Dreier, der in ein Kleidergeschäft eingebrochen und einige der Schaufensterpuppen samt Kleidung und allem gefressen haben sollte. Gastro-Dämonen verschlangen zwar alles, aber normalerweise brachen sie für eine kleine Zwischenmahlzeit nicht in einen Laden ein.
Während Beck die Straße entlangmarschierte, vorbei an herrenlosen Reifen, zerbrochenen Betonplatten und verbarrikadierten Gebäuden, wanderten seine Gedanken zu Riley. Das
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