Seelenriss: Thriller
ein Flugticket nach Teneriffa. Es war vor einer Woche in einem Reisebüro namens Happy Holiday Travel am Ku’damm ausgestellt und mit einer Kreditkarte bezahlt worden. Abflugdatum war der siebenundzwanzigste Mai. Das war in zwei Tagen , dachte Lena. Sie reichte einem Beamten das Ticket, mit der Bitte, überprüfen zu lassen, mit wessen Kreditkarte es bezahlt worden war. Dann ging sie ins benachbarte Esszimmer.
Schon allein wegen seiner stattlichen Größe und seiner fülligen Statur war Belling kaum zu übersehen. Zu Lenas Leidwesen befand er sich im Beisein von Ben Vogt. Die beiden Männer – Belling in abgewetzter Freizeitjacke, die seinen Bauchansatz verbarg, Vogt im enganliegenden Poloshirt, unter dem sich sein durchtrainierter Körper abzeichnete – unterhielten sich mit angespannten Mienen. Als sie Lena sahen, verstummten sie abrupt. Vogt schien alles andere als begeistert, sie zu sehen, und gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen. Lena hatte nichts anderes erwartet. Sie nahm sich vor, sich von dem mürrischen Rothaarigen keinesfalls provozieren zu lassen, zog die Latexhandschuhe aus und ging zielstrebig auf die beiden zu.
Vogt rang sich zur Begrüßung lediglich ein knappes Kopfnicken ab. Was wollen Sie denn hier?, sagte dieses Nicken. Obwohl Lena nicht danach zumute war, schenkte sie ihm ein flüchtiges Lächeln. In ihren Augen war Ben Vogt nicht nur ein miserabler Kriminalist, sondern obendrein ein rechthaberischer, kleingeistiger und eifersüchtiger Wichtigtuer, der vom ersten Tag an versucht hatte, sie aus dem Team zu drängen. Es war kein Geheimnis, dass sie einander nicht ausstehen konnten. Lena war sich durchaus bewusst, dass Vogt nicht der Einzige im Dezernat war, der sie suspekt fand und hinter ihrem Rücken über sie redete. Ihr war das ebenso gleichgültig wie Wulf Belling, der sie für ihre einzigartige Fähigkeit, sich in die Denkweise von Serienmördern hineinzuversetzen und deren Greueltaten bis ins kleinste Detail zu rekonstruieren, bewunderte.
»Soweit ich weiß, werden Sie Psychopathen-Versteherin nur dann gerufen, wenn ein Täterprofil erstellt werden soll«, meinte Vogt und schenkte ihr ein mattes Grinsen. »Aber hier gibt es keinen Täter.«
Lena antwortete mit einem säuerlichen Lächeln und zwang sich, den Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, herunterzuschlucken. »Was haben wir?«, fragte sie, an Belling gewandt und ohne auf Vogts Bemerkung einzugehen.
»Lynn Maurer war dreiundzwanzig, ledig. Außerdem war sie schwanger«, seufzte er, mit verschränkten Armen an die Fensterbank gelehnt.
Lena gab ein wissendes Nicken von sich. »Sie war als Maklerin tätig, für einen Laden namens Astor & Ronald Immobilien«, fuhr Belling fort. »Die sitzen am Halleschen Ufer, zwei Kollegen sind bereits auf dem Weg dorthin.« Er zog den Ärmel seines Kordjacketts hoch, um einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen. »Mit etwas Glück erwischen sie um diese Zeit noch jemanden.«
Lena dachte nach und wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, da kam Vogt ihr zuvor: »O nein, ich weiß genau, was Sie jetzt denken …« Er lachte verächtlich auf. »Aber hier gibt es keinen Mord. Ist reine Routine, dass wir überhaupt hier sind.« Er zeigte mit dem Finger auf sie und funkelte sie zornig an. »Und wenn Sie meinen, aus dieser Sache auf Teufel komm raus etwas konstruieren zu müssen, und mich um meinen wohlverdienten Feierabend bringen, bloß weil in Ihrer Welt nichts als blutrünstige Psychopathen existieren, dann haben Sie sich gewaltig …«
»Schon gut, ich habe sie angerufen«, unterbrach ihn Belling und räusperte sich.
Brüskiert wandte ihm Vogt den Kopf zu. »Wozu?«
»Es will mir einfach nicht in den Sinn, dass sie sich aus freien Stücken aus dem Fenster gestürzt haben soll«, meinte Belling und sprach damit aus, was Lena schon die ganze Zeit durch den Kopf ging.
»Herrgott noch mal, dieses Mädchen war kaum älter als meine Tochter – und außerdem erwartete sie ein Kind«, fügte er aufgebracht hinzu und blickte abwechselnd zwischen Vogt und Lena hin und her.
»Ganz einfach, sie war eine verdammte Irre«, ergriff Vogt erneut das Wort und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.
Lena hielt seinem stechenden Blick stand. »Und was ist mit ihrem Gesicht?«
Vogt lachte. »Keine Ahnung, was die für einen Spleen hatte, aber Sie wissen ebenso gut wie ich, dass der Phantasie solcher Freaks keine Grenzen gesetzt sind.«
»Aber warum um alles in der Welt sollte sich jemand
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