Seelensplitter - Marionette des Schicksals (German Edition)
erinnern.“
„ Aber das ist doch
Wahnsinn!“, protestierte Melica schrill.
„ Nein“, Gregor
schüttelte den Kopf, lächelte. „Es ist Realität.“
„ Aber…Menschen!
Sie träumen doch jede Nacht! Davon kann doch unmöglich
alles wahr werden, ich meine…stellt euch einmal vor, man
träumt, dass Zombies die Erde überfallen, einfach nur, weil
man am vergangenen Abend einen Horrorfilm gesehen hat. So etwas
geschieht täglich – und trotzdem habe ich noch keine
Zombies gesehen, die mit gestörtem Gesichtsausdruck durch die
Gegend schwanken. Natürlich, einige Menschen hatten verdammt
große Ähnlichkeiten damit, aber…trotzdem!“
Gregor starrte sie mit
einem nachdenklichen Blick an, beinahe so, als überlege er, ob
sie verrückt war oder nicht. „Natürlich werden nicht
alle Träume wahr. Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie viele
Menschen auf diesem Planeten leben? Es wäre vollkommen
unmöglich, dass alles, was Menschen träumen, auch
irgendwann Wirklichkeit wird. Nein. Nur die Menschen, die es
schaffen, ihre Träume in Verse zu verpacken, können die
Zukunft in die Gegenwart holen.“
Wenn Melica in diesem
Moment auch nur halb so dumm aussah wie sie sich fühlte,
dann…nun, dann blickte sie nicht wirklich intelligent aus der
Wäsche. „Was?“
Jonathan stieß ein
genervtes Seufzen aus. „Was gibt es denn daran nicht zu
verstehen?“ Er seufzte erneut, schüttelte verzweifelt den
Kopf. „Ich werde wohl etwas weiter ausholen müssen, damit
auch du alles verstehen kannst. Ich glaube, dass sogar unter Menschen
bekannt ist, dass der Lebensweg eines jeden Wesens schon lange vor
der Geburt festgelegt worden ist. Selbst wenn wir meinen, dass wir
einen freien Willen haben und eigene Entscheidungen treffen können
– es stimmt nicht. Eine jede Frage wurde schon vor Millionen
von Jahren beantwortet. Wir reagieren nur so, wie wir reagieren
sollen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Es gibt nur eine
Zukunft, die jetzt verständlicherweise schon feststeht. Wir
können die Zukunft nicht verändern. Niemand kann das. Doch
das ändert nichts daran, dass ein jeder von uns dann und wann
vor eine Entscheidung gestellt wird. Welchen Weg wir wählen,
steht zwar schon fest, was jedoch nichts daran ändert, dass wir
nachdenken und verschiedene Dinge gegeneinander abwiegen müssen.
Aber mit jeder Entscheidung, die wir treffen, entsteht eine neue
Realität, in der wir dieser Entscheidung nie begegnet sind oder
eine andere Möglichkeit gewählt haben. Was wäre, wenn
mein Auto nicht blau, sondern rot wäre? Was, wenn ich statt
Richter Gärtner geworden wäre? Oder noch drastischer: was
wäre, wenn ich diesen jungen Menschen vor dem Bankräuber
geschützt hätte, anstelle mich selbst in Sicherheit zu
bringen? Jeder kennt diese Fragen, wenn nicht in dieser, dann in
irgendeiner anderen Form. Den Antworten darauf begegnen wir täglich
in unseren Träumen, dort sehen wir, wie es vielleicht hätte
werden können, wenn wir eine andere Wahl getroffen hätten.
Ob uns die Träume Entscheidungen zeigen, die schon längst
getroffen worden sind oder welche, die noch vor uns liegen werden,
eines ist sicher: wir Dämonen begegnen in unseren Träumen
niemals der Realität. Und darin unterscheiden wir uns von den
Menschen. Sie haben die Chance, die Wirklichkeit zu finden und somit
in die Zukunft zu sehen. Wir Dämonen sind davon überzeugt,
dass Menschen mindestens einmal in der Nacht der Zukunft begegnen.
Sie können sich aber nur äußerst selten daran
erinnern. Die Prophezeiung über die drei Auserwählten ist
jedoch anders. Ruth besaß die Geistesgegenwart, während
ihres Traumes Worte vor sich hin zu murmeln. Als man sie aufschrieb,
merkte man, dass sie sich reimten – ein Merkmal, dass alle
Prophezeiungen gemeinsam haben. So konnten wir ausschließen,
dass es sich bei Ruths Sätzen nicht nur um das sinnlose Gemurmel
handelt, dass viele Menschen während des Schlafens grundlos von
sich geben.“
Melicas Augen waren
während seiner Rede immer größer geworden. Hatte
Jonathan allen Ernstes gesagt, er wolle ein wenig weiter ausholen?
Nun…das hatte er getan…ganz offensichtlich.
„ Also“, begann
sie, völlig geplättet von seinem etwa zehnminütigen
Vortrag. „Ihr glaubt, dass es nur eine Zukunft gibt? Das alles,
was wir tun, keinerlei Auswirkungen hat, da bereits klar ist, dass
wir so reagieren? Und dass es vollkommen egal ist, was wir machen?“
Jonathan nickte. „Genau.“
„ Achso“,
erwiderte Melica leise.
„
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