Seelensplitter - Unsterblich wider Willen (German Edition)
ihre ganzen Überlegungen halfen ihr auch nicht weiter, änderten sie doch nichts daran, dass sie zusammen mit einem paranoiden alten Fanatiker, einem kalten Polizisten, einer modesüchtigen, machtgierigen Barbie und einem kleinen Mädchen, das genau wusste, dass Melica einen Menschen getötet hatte, in einem Haus eingesperrt war, ohne Internet, Handy oder sonst irgendeine Verbindung zur Außenwelt. Warum ihre Eltern sie hierher geschickt hatten, war ihr nun klar. Wirklich niemand konnte den psychiatrischen Ausführungen Seans über Gehorsam folgen, ohne sich verzweifelt zu wünschen, das Haus zu verlassen und es am besten auch noch anzuzünden.
Eine Sache, die sie jedoch nicht verstehen konnte, war, weshalb ihre Eltern Paula noch nicht längst gepackt und sich aus dem Staub gemacht hatten. Nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte, aber nicht den Grund für ihre Anwesenheit zu kennen, machte sie irgendwie nervös.
Vor allem weil sich Melica nicht erklären konnte, woher ihre Familie die Kleidung hatte, die sie in diesen Tagen trug. Sie hatte zuhause niemanden einen Koffer packen sehen…
Eine kühle Hand berührte sie unsanft an der Schulter und ließ sie zusammenfahren. Was sie jedoch sah, als sie sich langsam umdrehte, treib sie in schiere Verzweiflung.
„Du darfst niemals unachtsam sein, Kind.“ Seans Miene wirkte ungehalten, seine ganze Haltung drückte Tadel aus. „Wie oft muss ich es dir eigentlich noch erklären?“
Zu gerne hätte Melica ihm nun erklärt, dass sie in ihrem eigenen Zimmer nicht gerade damit rechnete, von einem geistesgestörten Jäger angestoßen zu werden. Doch sie traute sich nicht. Stattdessen murmelte sie eine leise Entschuldigung, während ihre Augen zu dem wanderten, was Sean in seiner Hand hielt.
Es war ein Kleid. Hellbraun und dermaßen hässlich, dass sie schlagartig von einer ganzen Reihe von Wörtern überfallen wurde.
Würg.
Kotz.
Augenkrebs.
Töten.
„Was ist das?“, fragte sie und versuchte, das Entsetzen aus ihrer Stimme zu verbannen.
„Ein Kleid. Du wirst es tragen.“
„Ähm…nein?“
Ihr Großvater bedachte sie mit einem vernichtenden Blick. „Natürlich wirst du. Mein Jagdverein trifft sich heute Abend zum Tanz. Du wirst kommen. Paula und deine Eltern auch. Für Mädchen in deinem Alter ist so ein Kleid Pflicht.“
Noch immer nicht hatte sich Melica an Seans seltsam stockende Sprechweise gewöhnt. Ausschmückungen jeder Art schienen Sean beinahe Angst zu machen. Von langen Sätzen ganz zu schweigen.
„Kann es deinem Jagdverein nicht egal sein, was ich trage?“, fragte Melica skeptisch.
„Der erste Eindruck ist wichtig. Sie sollen dich mögen.“
„Und ob sie mich mögen oder nicht liegt nur an diesem Kleid?“ Melica runzelte die Stirn. „Woher hast du es eigentlich?“
„Deine Großmutter hatte deine Größe.“
Ein Schauer lief Melica über den Rücken. Ihre Großmutter? Soweit sie wusste war diese vor vielen Jahren einem skrupellosen Dieb und Mörder zum Opfer gefallen. Und nun sollte sie ihr Kleid tragen? Das Kleid einer Toten? „Das kannst du nicht machen, Großpapa!“
„Du würdest dich wundern“, entgegnete Sean knapp. „Stell dich nicht so an! Paula hat sich auch nicht beschwert!“
„Paula?“ Melica schnaubte leise. „Sag bloß, du hast für sie auch ein Kleid gefunden! Wer hatte denn Paulas Größe? Du hattest nicht zufällig einen ziemlich großen Hund, oder?“
„Zufällig nicht. Nein. Deine Eltern sind mit Paula im Dorf. Sie suchen dort.“
Melica bemühte sich verzweifelt, sich nichts von ihrer Überraschung anmerken zu lassen – doch sie wusste genau, dass es ihr nicht gelang. Warum hatte sie denn nicht mitbekommen, dass außer ihrem Großvater niemand im Haus war? Das hier war perfekt. Endlich die Chance, auf die sie die letzten Tage vergeblich gewartet hatte!
Melica schluckte den Kloß, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte, herunter und nickte leicht. „In Ordnung. Ich ziehe es heute Abend an.“ Es war nicht einmal gelogen. Schließlich konnte sie ja noch nicht ahnen, dass sie sich an diesem Abend mit ganz anderen Dingen als den Jagdfreunden ihres Großvaters herumschlagen musste.
Sean jedenfalls nickte. „Ich habe nichts anderes erwartet“, erklärte er und legte das Kleid beinahe vorsichtig neben ihr aufs Bett.
Dann verschwand er – und ließ Melica mit einem seltsamen Grinsen auf dem Gesicht zurück.
Melica wartete noch einige Sekunden, lauschte, aber alles blieb ruhig. Anscheinend
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