Seelensplitter - Unsterblich wider Willen (German Edition)
griffen nach Kuscheltieren oder Wachsmalstiften.
Melica spitzte interessiert die Ohren, als sie Jonathan auf eine hohe, weiße Rezeption zugehen sah.
Die rothaarige Frau an der anderen Seite hob den Kopf. Ihre Augen schienen mit einem Mal ungewöhnlich groß zu werden. Es fehlte nicht viel und ihre Kinnlade wäre hinuntergefallen, da war sich Melica ganz sicher. Sie konnte es der Frau nicht einmal verübeln. Man traf schließlich nicht jeden Tag auf jemanden, der eine solche Attraktivität ausstrahlte wie Jonathan. Melica mochte ihn trotzdem nicht.
Jonathan begann leise auf die fremde Frau einzusprechen, in einer Sprache, die Melica so gar nicht verstehen konnte. Was eventuell daran liegen könnte, dass sie sich in Norwegen befanden und Melica kein Wort norwegisch sprach. Doch ihre Mängel in dieser Sprache waren gar nicht so tragisch – allein durch die Mimik und Gestik der beiden wurde mehr als deutlich, worüber sie sich unterhielten. Offenbar wollte Jonathan unbedingt mit jemandem sprechen. Die Frau war aber dagegen und deutete erklärend auf das Wartezimmer. Jonathan schenkte ihr daraufhin ein flehendes Lächeln. Die Frau wurde scharlachrot. Dann nickte sie hastig, sprang auf und eilte durch einen weiteren Gang an der rechten Seite davon. Als sich Jonathan zu ihnen umdrehte, hatte er ein triumphierendes Grinsen auf dem Gesicht.
Tizian seufzte gequält. „Wenn er gleich behauptet, er wäre unwiderstehlich, dann zünde bitte seine Haare an“, flüsterte er, während er Jonathans Blick freundlich erwiderte.
Jonathan jedoch hatte gar keine Zeit, um irgendetwas zu sagen. Die Frau kam zurück, mit rosaroten Wangen und einem verschüchterten Strahlen auf dem sommersprossigen Gesicht. Mit leiser Stimme sprach sie auf Jonathan ein, der für ihre Freundlichkeit mit einem Mal nicht mehr als ein schwaches Lächeln übrig hatte. Es war ganz offensichtlich, dass er bekommen hatte, was er wollte.
„Isak erwartet uns“, wandte er sich schließlich an Melica und Tizian und lenkte damit zum ersten Mal die Aufmerksamkeit der Arzthelferin auf sie beide. Beeindruckt musterte sie erst Melica, bevor ihre Augen verwirrt weiter zu Tizian huschten. Dann breitete sich ein Staunen auf ihren Zügen aus.
Melica beachtete sie jedoch nicht weiter. „Müssen wir ihn wirklich treffen?“
„Jepp“, sagte Tizian knapp und packte sie entschlossen am Arm. Er zog sie ohne zu Zögern den Gang entlang, durch den auch die Arzthelferin gerannt war. Melica versuchte gar nicht erst, sich zu wehren. Stattdessen starrte sie verdrossen vor sich hin und streckte dem hinter ihr her stolzierenden Jonathan die Zunge raus, immer dann, wenn sie das Gefühl hatte, dass seine Miene zu schadenfroh wurde.
Drei Türen und sieben finstere Blicke später hatten sie ihr Ziel erreicht. Nun…das nahm Melica zumindest an. Warum sonst sollte Tizian mit einem Mal eine Tür aufreißen und mit ihr im Schlepptau hindurchstürmen? Ihre gute Laune war ihr förmlich anzusehen, als sie durch das Krankenzimmer marschierte und sich mit verschränkten Armen auf einen Stuhl fallen ließ. Da das Behandlungszimmer gar und gar durchschnittlich war und sie nichts fand, das ihre Aufmerksamkeit verdiente, fiel ihr recht schnell auf, dass etwas an dieser Sache faul war.
„Wo ist denn euer Superheld?“, fragte sie verdutzt und blickte sich suchend um. Natürlich fand sie nichts. Und auch niemanden, der sich aus welchem Grund auch immer irgendwo versteckt hatte.
„Isak untersucht noch immer einen Patienten. Schließlich kann er die Behandlung nicht einfach abbrechen, nur weil wir hier sind“, antwortete Jonathan.
„Dieser Isak…er ist Kinderarzt?“
Tizian zwinkerte Melica zu. „Warum sollten wir sonst hier sein?“
„Keine Ahnung. Mir erklärt ja niemand etwas“, gab Melica patzig zurück und presste schlecht gelaunt die Lippen zusammen. Kein Wunder, dass Jonathan und Tizian der Meinung waren, sie wäre eine schlechte Auserwählte. Neben einem Kinderarzt zu bestehen war so gut wie unmöglich!
Sie war gerade dabei, so richtig schön im Selbstmitleid zu versinken, als die Tür vorsichtig aufglitt. Dann wurde ein weißer Kittel sichtbar, dicht gefolgt von einem jungen Gesicht, das Melica unglaublich bekannt vorkam. Grausame Erkenntnis raste durch ihren Körper. Fassungslosigkeit folgte.
„Scheiße“, hauchte sie, während sie entsetzt in die weit aufgerissenen Augen des Dämons starrte. Augen, deren Form und Farbe sie im Schlaf hätte bestimmen können.
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