Seelensturm
meine Gelegenheit dazu. Du musst mir versprechen, niemandem etwas zu verraten.«
Tom überlegte und grinste dann wieder. Doch das tat er mehr, um mich zu verunsichern. Im Grunde wusste ich, dass er seinen Mund halten würde. »Dummerchen, das weißt du doch. Dennoch finde ich, solltest du mich für mein Schweigen bezahlen.«
Das waren ja ganz neue Töne. Doch er lachte schon, als er mein fragendes Gesicht sah.
»Jetzt schau nicht so entsetzt. Wie wäre es zum Beispiel, wenn wir gemeinsam joggen oder mal tanzen gingen?«
Tom und Sport? War er sich da sicher? Er war einfach nicht der Typ dafür.
»Na klar! Was soll ich auch allein im Bayviller Nachtleben, ohne dich?«, grinste ich und rempelte ihn leicht an. Er rückte noch näher zu mir und ich wurde verlegen. Unruhig trat er von einem Bein aufs andere.
»Jade, ... es gibt da etwas, was ich ...! Also, ich wollte ... dir etwas sagen«, stammelte er. Ich hörte ein leises Zittern in seiner Stimme und wurde aufmerksamer. Ich wollte ihn nicht ansehen, aus Angst, er könnte meine Unsicherheit entdecken, daher sah ich wieder zu den Bäumen vor uns. Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einem Schatten abgelenkt.
»Da!«, rief ich und zeigte auf einen Baum, der ein paar Meter von uns entfernt stand. Sofort ließ Tom seine Worte fallen und folgte meinem Finger, der auf den Baum zeigte, auf dem diese merkwürdige Krähe saß. Ich konnte es nicht fassen. Beinahe hätte ich sie übersehen, doch das Kobaltblau in ihrem Gesicht war so leuchtend im Abendlicht, dass sie fast wie ein bunter Farbklecks wirkte. Sie saß ganz ruhig auf einem Ast und sah in unsere Richtung.
»Wow! Was ist das für eine Krähe?«, rief Tom erstaunt aus. Wir sahen beide gebannt zu ihr, wie sie regungslos auf ihrem Ast saß. »So eine habe ich noch nie gesehen! … Vielleicht ist sie ja aus einem Zoo entflohen? Sie sieht jedenfalls nicht so aus, als würde sie in der freien Natur leben«, meinte er. Genau in diesem Augenblick öffnete sie ihre Flügel und flog über uns hinweg. Bewundernd sahen wir ihr nach, bis sie verschwunden war. Ein merkwürdiges Gefühl hinterließ der Vogel in mir. Ihn ein zweites Mal zu sehen war schon merkwürdig. Eine Weile sah ich völlig in Gedanken der Krähe nach, bis mir einfiel, dass Tom eigentlich etwas sagen wollte.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen. Was wolltest du sagen?«
Liebevoll sah er mich lächelnd an und überlegte einen Augenblick. Mehrmals öffnete er dabei unentschlossen seinen Mund. »Ähm, ...!« Die Terrassentür wurde aufgerissen. »Hey, ihr zwei, wir wollen gehen. Onkel Finley hat einen Anruf bekommen und will nach Hause«, funkte Amy genau in dem Augenblick dazwischen.
»Wir kommen!«, rief ich ihr zu. »Jetzt sag schon, was wolltest du sagen?«, fragte ich ihn ungeduldig, bevor er seine Worte wieder vergaß. Es fiel ihm nicht leicht und es schien etwas Ernsteres zu sein, sonst würde er nicht so stammeln. So kannte ich ihn gar nicht.
»Nichts! Ist schon gut! Lass uns reingehen, dein Onkel wartet.« Er grinste mich honigsüß an und schob mich zur Tür, als ich schon protestieren wollte. Durch die Unterbrechung von Amy hatte er den Faden verloren. Vielleicht gab es später noch eine neue Gelegenheit.
Ich bereute mein gut gewürztes Abendessen, denn kurz nach elf wachte ich von Durst geplagt wieder auf. Mir war heiß und meine Zunge so trocken, dass ich bei Amy nachsah, ob sie noch eine Flasche Wasser an ihrem Bett stehen hatte. Doch leider musste ich in die Küche laufen. Amy schlief schon, als ich leise unser Zimmer verließ. Für gewöhnlich arbeitete Onkel Finley in seinem Arbeitszimmer meistens noch bis spät in die Nacht hinein. Daher wunderte ich mich auch nicht, dass noch Licht brannte. Sein Arbeitszimmer war immer abgeschlossen, wenn er nicht zu Hause war, es war für uns Mädchen tabu. All seine Geschäftsgespräche hielt er hinter verschlossener Tür, daher staunte ich, als jene Tür nur angelehnt war.
Leise lief ich die Stufen hinunter, als ich plötzlich eine aufgebrachte Stimme hörte. Vorsichtig stieg ich ein paar Stufen weiter hinunter. Mit wem sprach er und wieso war er so aufgeregt? Wer war bei ihm? Erst als ich kurz vor seinem Arbeitszimmer stand, erkannte ich, dass er noch Besuch hatte. Leise lauschte ich.
»Wie konnte das passieren? Ich kann nicht glauben, dass sie Amy gefunden haben!«, rief er aufgebracht.
»Ich kann dir nicht sagen, ob es so ist, aber es gibt Anzeichen dafür. Einwohner
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