Seelensunde
ihn daran hinderte, mit ihr von hier zu verschwinden, und das gegenwärtig mächtiger war als er. Das Portal bot keinen Ausweg.
Alastor gab seine Versuche auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf Naphré, die bleich und reglos am Boden lag. Der Anblick schmerzte ihn. Sie war ein Menschenkind. Es schien aussichtslos. Sie lag im Sterben.
Kummer und Verzweiflung überkamen ihn, ein Zustand, der ihm überhaupt nicht behagte. Aber es gelang ihm nicht, sich gegen diese Gefühle zu wehren.
„Naphré.“ Er nahm sie zu sich auf den Schoß, hielt sie umarmt und wiegte sie sanft, während er angestrengt nachdachte, was in drei Teufels Namen er machen sollte. Sein Puls raste, seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er war so sehr daran gewöhnt, seine übernatürlichen Kräfte einzusetzen, dass er nun vollkommen ratlos war.
Aber er musste etwas tun. Wie lange war es her, dass sie nichts mehr gegessen oder getrunken hatte? Sie musste sich stärken. Er konnte nicht einfach zusehen, wie sie ihm unter den Händen wegstarb. Sie brauchte Wasser, Nahrung.
Dann nähre sie , flüsterte eine Stimme ihm zu, die aus den tiefsten Verließen seiner Seele kam. Gib ihr dein Blut zu trinken, und sie wird dir gehören . Es war die Stimme der Versuchung. Einer starken Versuchung.
Es war das, was Dagan mit Roxy getan hatte, um ihr das Leben zu retten. Und es hatte funktioniert. Nichts sprach dagegen, dass es bei Naphré auch funktionieren würde.
Nichts? Naphré hatte sich geweigert, ihr erstes Blut zu nehmen. Es war ihr unumstößlicher Entschluss, es nicht zu tun. Das hatte sie ihm unmissverständlich gesagt. Wenn er ihr jetzt sein Blut gab, ließe es sich nicht mehr rückgängig machen. Und er würde gegen ihren erklärten Willen handeln. Hatte er das Recht dazu?
Macht geht vor Recht , flüsterte ihm die hinterhältige Stimme ein. Du hast es in der Hand. Öffne eine deiner Adern. Lass sie trinken.
Die Folgen waren unabsehbar.
Alastor fuhr ihr sacht mit der Fingerspitze über die Unterlippe und spürte ihren flachen Atem.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte er. Er war unschlüssig. Gab er ihr von seinem Blut, blieb er Herr der Lage und konnte sie an sich binden. Aber er würde ihr das Recht nehmen, über sich selbst zu bestimmen. Ihre Natur würde sich verändern. Sie würde danach für den Rest ihrer Tage Blut zum Überleben brauchen. Menschliches Blut – wenn das überhaupt ausreichte, nachdem sie ihr erstes Blut von einem Sohn Sutekhs genommen hatte.
Genau vor einem solchen Leben war sie davongelaufen. Zwar hatte sie sich das Isiszeichen mit eigener Hand in die Haut gebrannt, aber gegen die Aufnahme in die Isisgarde und gegen das erste Blut hatte sie sich mit aller Macht gewehrt. Sie hatte es ihm in aller Deutlichkeit erklärt.
Aber das war vor sechs Jahren gewesen. Galt das jetzt noch?
Sie sollte überleben. Das war, was Alastor mit aller Macht wollte. Sie sollte weiter an seiner Seite sein. Und dafür konnte er mit seinem Blut sorgen. Er griff in die Hosentaschen. Von Naphrés wertvollen Bonbons waren noch zwei übrig. Er nahm einen davon und schloss die Augen, bis der Schub in seinem Körper angekommen war. Es war nicht viel, was er seinen Blutbahnenzuführte, und es würde auch nicht lange vorhalten. Deshalb musste er schnell handeln.
Er beugte sich über ihren leblosen Körper und zog das Messer heraus, das sie im Stiefel trug. Die Klinge blitzte im Widerschein des roten Himmels auf, sodass es aussah, als wäre sie schon in Blut getaucht. Dann beugte er sich noch tiefer und küsste Naphré auf den Mund. Ihre Lippen waren eiskalt. Er spürte ihren Atem nicht mehr. War es schon zu spät?
Wild entschlossen krempelte er sich den linken Ärmel hoch und fuhr mit der Klinge über den Unterarm. Er schnitt tief ins Fleisch. Das Blut schoss hervor, lief über das Handgelenk seine Finger hinab und tropfte auf die Erde.
Als er die blutige Hand hob, um sie zu ihrem Mund zu führen, bemerkte er, dass sie doch atmete. Kaum spürbar. Er hielt in der Bewegung inne. Blutstropfen fielen ihr auf die Wange. Aber rasch nahm er die Hand weg und fluchte. Er durfte das nicht tun. Das Schmerzliche ihres Verlustes war keine Rechtfertigung dafür. Was es bedeutete, wenn jemand ungefragt in ein fremdes Leben eingriff und nach seinem Dafürhalten die Weichen dort stellte, wusste er selbst am besten. Sutekh hatte es bei ihm getan. Dass er die Rolle eines Seelensammlers inzwischen angenommen hatte, tat nichts zur Sache. Er konnte Naphré
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