Seelensunde
nicht antun, was sein Vater ihm angetan hatte. Nicht einmal, um ihr das Leben zu retten.
Mit einem wütenden Aufschrei stieß er das Messer bis ans Heft in den steinharten Boden. Dann ließ er den Kopf auf ihre Schulter sinken und gab sich alle Mühe, seine Gefühle im Zaum zu halten, jedoch vergebens. Der Jammer überwältigte ihn und mischte sich in die Qualen, die er durch den Zuckermangel litt. Es war so grausam, Naphré zu verlieren, daran zu denken, dass sie für immer aus seinem Leben verschwand und er mit seinen Schuldgefühlen und den Gedanken daran, was sie versäumt hatten, auf ewig allein bleiben musste.
Dennoch: In dem Bewusstsein, dass er sie ihrer menschlichen Natur beraubt und gezwungen hatte, ein Leben zu führen, gegendas sie sich entschieden hatte, hätte er erst recht nicht weiterexistieren wollen.
„Alastor“, hörte er sie plötzlich seinen Namen sagen. Es war nur ein Hauch, der von Naphré kam.
Alastor war mit einem Schlag wie elektrisiert. Er hockte sich neben sie und sah sie an. Sie hatte die Augen geöffnet, aber ihr Blick war verschleiert. Als er allmählich klarer wurde, richtete sie ihn auf das Blut, das Alastor die Hand herunterlief. Ihre Pupillen weiteten und die Lippen öffneten sich. Aus dem Zittern ihrer Nasenflügel schloss er, dass sie das Blut riechen konnte.
„Ja“, flüsterte sie. Sie bebte vor Erregung und Ungeduld.
Also doch. Ein Hoffnungsschimmer. Wenn sie es doch selbst verlangte? Trotzdem zögerte Alastor. „Bist du sicher? Weißt du wirklich, worum du mich bittest und welche Konsequenzen das hat?“
„Ich weiß …“
Die folgenden Sekunden schienen sich endlos hinzuziehen. Alastor wagte nicht, sich Rechenschaft über die Gefühle abzulegen, die ihn gerade durchströmten. Sie kamen unkontrolliert aus seinen dunkelsten Tiefen, dumpf und triebhaft. Er hob Naphrés Kopf ein Stück an und führte die klaffende Wunde seines Unterarms an ihren Mund. Sie klammerte sich an den Arm und begann, gierig zu saugen. Alastor empfand dabei eine Mischung aus Lust und Schmerz. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so ein sinnliches Erlebnis sein würde, Naphré von seinem Blut trinken zu lassen.
Sie richtete sich ein klein wenig auf und rückte näher an ihn heran, ohne seinen Arm loszulassen. Während sie ihm wie bei einem leidenschaftlichen Kuss die geöffneten Lippen auf die Haut drückte, leckte sie mit der ganzen Länge ihrer Zunge über die Wunde. Je länger es dauerte, desto mehr steigerte sich seine Erregung. Jede Faser seines Körpers erwachte wieder zu neuem Leben. Er wollte, dass sie genauso weitermachte. Er wollte, dass sie ihn aussaugte, während er sie nahm.
Als sie schließlich von ihm abließ, atmete sie schwer. Nur widerstrebendlöste sie sich von ihm. Alastor drückte sie sanft zu Boden, sah ihr tief in die Augen und fing an, als sie der Länge nach ausgestreckt dalag, sie zu streicheln. Ihre Arme, Brüste, den Bauch, die Beine, überall.
Auch ihre Lebensgeister schienen wieder zu erwachen. Ihr Puls und Atem gingen schneller, während sie sich seine Zärtlichkeiten gefallen ließ. Eine Blutspur zog sich wie ein dünner Faden von ihrem einen Mundwinkel hinab zum Hals. Alastor beugte sich darüber, leckte das Rinnsal ab und schmeckte sein eigenes Blut. Darauf bedeckte er ihren Hals mit Küssen und Bissen, bis er schließlich ihre Lippen fand und sie leidenschaftlich und fordernd küsste.
Alles, was für ihn jetzt zählte, war, sie in den Armen zu halten. Für Alastor gab es kein Halten mehr. Er war überwältigt von dem, was er durchgemacht hatte: Sorge, Trauer, Schmerz und jetzt die wilde, unbändige Lust, mit der er sie begehrte.
„Ich hatte dich schon verloren geglaubt“, flüsterte er heiser. Aber er merkte, dass die Worte zu schwach waren, um die Größe seiner Gefühle auszudrücken. Andere Worte steckten ihm im Hals wie eine quer sitzende Fischgräte und wollten nicht heraus.
Und doch schien Naphré verstanden zu haben, denn sie streckte die Hand aus, streichelte ihm die Wange und sah ihn dabei zärtlich an, so liebevoll, als wäre er für sie das Liebste auf der Welt. Für ihn war sie es wirklich geworden.
Auch Naphré fiel es schwer, Worte dafür zu finden, was sie in diesem Moment fühlte. Er hatte ihr Herz angerührt. Schon damals, als sie ihn auf der Straße stehen gesehen hatte, nachdem er ihr nach Hause gefolgt war, oder als er ihr geholfen hatte, Marie zu retten. In seinem Interesse hatte dieser Einsatz sicherlich nicht gelegen. Für
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