Seelensunde
wen hatte er das getan? Für Marie? Unwahrscheinlich. Für sie, Naphré?
Jetzt hatte er ihr das Leben gerettet und war dabei so respektvoll gewesen, ihr die Entscheidung darüber zu überlassen. Aberes war nicht nur das. Es war noch ein tieferes Gefühl dabei, ein Gefühl von Zugehörigkeit, auch wenn die Logik ihr sagte, dass es das nicht geben konnte. Denn sie kannte ihn kaum. Ein paar Tage erst. Und dennoch hatte sie das Gefühl, als würde sie ihn schon seit Ewigkeiten kennen. Merkwürdigerweise hatte sie dieses Gefühl schon gehabt, als er ihr zum ersten Mal vor dem Nachtklub begegnet war.
Logik war hier zu vernachlässigen. Was sie empfand, war stärker als alle Logik. Es brodelte in ihr, eine elementare, ursprüngliche Kraft, für die es keine Erklärung gab. Er hatte es irgendwie geschafft, dass sie … ihn liebte.
Forschend ließ sie den Blick über sein Gesicht schweifen. Auf seinen Wangen lag ein dunkler Schatten, nachdem er sich mehrere Tage nicht rasiert hatte. Der blonde Dreitagebart hatte einen goldenen Schimmer. Die Anspannung und Erschöpfung ließen seine Züge schärfer erscheinen als sonst. Von der blendenden kultivierten Fassade war nicht mehr viel übrig geblieben. Das störte Naphré jedoch nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Sie war von seiner geballten, unverfälschten Männlichkeit wie hypnotisiert. Sie verlieh ihm eine Art männlicher Schönheit, die anzusehen ihr fast wehtat.
„Ich wusste nicht, ob ich dich jemals wiedersehen würde“, flüsterte sie. „Wenn ich dich verloren hätte – ich hätte das nicht ertragen.“
Seine Pupillen weiteten sich. Die Art, wie er sie ansah, ließ sie erschauern. Sie ahnte, dass in ihm etwas Animalisches lauerte, das dabei war, seine Fesseln zu sprengen.
Gerade wollte sie etwas sagen, doch er gab ihr keine Gelegenheit dazu. Schon presste er die Lippen hart und verlangend auf ihren Mund. Es war kein zärtlicher Kuss, mehr eine Bekräftigung seines Besitzanspruchs, den er auf sie erhob. Sie stöhnte auf, als er ihr in die Lippe biss, und griff ihm mit beiden Händen ins Haar. Ihr Körper reagierte mit einer Wildheit auf ihn, die sie noch nie bei sich erlebt hatte.
Sie war am Leben. Sie waren beide noch am Leben. Wiekonnte man das besser feiern als in einem Liebesrausch.
Alastor zog sie an sich. Seine wärmenden Hände unter ihrem T-Shirt fühlten sich wunderbar an. Er versuchte, ihr das Shirt auszuziehen. Aber es klebte nass in ihrem Körper. Ungeduldig riss er es einfach entzwei.
Naphré klammerte sich an ihn, krallte die Hände in sein blondes Haar, und nun war sie es, die ihn wild und zügellos küsste. Eine Spur von seinem Blut war noch in seinem Mund, und als sie es kostete, war sie wie berauscht von dem leicht salzigen, metallischen Geschmack. Am liebsten hätte sie ihm die Zähne ins Fleisch geschlagen und sich noch einmal satt getrunken.
„Komm her“, sagte er mit heiserer Stimme. Er zog ihr die Hose herunter. Auch das bereitete ihm Mühe, und Naphré dachte schon, er würde sie ebenfalls zerreißen, aber er schaffte es schließlich, sie ihr ganz auszuziehen.
Und im nächsten Moment legte er sich auf sie. Sein Gewicht presste sie auf den harten Untergrund. Abermals war es wie ein wohltuender Strom, der durch sie hindurchging, als sie die Wärme seines Körpers spürte. Sein Kuss nahm ihr den Atem, und Naphré keuchte, als er die Lippen wieder von ihr löste.
Er war unruhig, aufgewühlt, ungeduldig. Naphré fühlte sich in den rasenden Strudel seiner Emotionen hineingezogen, von seiner hemmungslosen Begierde angesteckt. Es war so anders als vordem in ihrem Schlafzimmer, wo er sie mit seinen Liebkosungen zwar auch bis fast zur Raserei getrieben hatte, dabei aber selbst immer auf Abstand geblieben war, distanziert und kontrolliert. All das hatte er jetzt aufgegeben. Seine Küsse waren ungestüm. Er glich einem hungrigen Tier, das sich seinem Instinkt folgend auf die Beute stürzte. Und seine rohe, elementare Wildheit erregte Naphré umso mehr.
Dieses Mal gab es kein Zögern, kein Zweifeln, kein Hinhalten, kein Versteckspiel mehr. Sie wollte ihn. Sie wollte ihn tief in sich spüren. Sie war ihr ganzes Leben lang weggelaufen, immer wieder, bis sie gemerkt hatte, dass sie dadurch keinen einzigen Schritt weiter gekommen war.
In rastloser Bewegung streichelte er sie. Seine Hände schienen überall zu sein. Da die Wunde, die er sich selbst zugefügt hatte, noch nicht ganz geschlossen war, war sie mit seinem Blut beschmiert. Naphré drehte
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