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Seelensunde

Seelensunde

Titel: Seelensunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silver Eve
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Gewicht, das sie bei ihren ohnehin schwindenden Kräften hinunterziehen würde.
    Ihr Entschluss stand fest. Sie ließ den Rucksack liegen und trat ans Ufer. Die Strömung war gewaltig. Das Wasser rauschte nur so dahin, und als sie die Hand hineinhielt, spürte sie, wie unerbittlich kalt es war. Was für eine abscheuliche Idee, sich freiwillig da hineinzubegeben.
    „Hast du eine bessere, Kurata?“, fragte sie sich laut. Hier sitzen zu bleiben und abzuwarten war gleichbedeutend mit einer Kapitulation. Ohne Nahrung und Trinkwasser war sie verloren. Wenn sie schon untergehen sollte, wollte sie das wenigstens nicht kampflos tun. Aufgeben? Nein, das hatte sie noch nie getan.
    „Also, hinein ins Vergnügen“, sprach Naphré sich leise Mut zu. Noch einmal langte sie tiefer mit der Hand ins Wasser. Die Kälte war unbeschreiblich. Kalt wie der Polarwinter, kalt wie das Grab, in dem sie Butcher gelassen hatte. Wie lange dauerte es, bis man durch Unterkühlung das Bewusstsein verlor? Zwei Minuten? Zehn? Zwanzig? Sie würde es bald herausfinden.
    Naphré schloss die Augen und konzentrierte ihre Gedanken auf Alastor. Sie dachte daran, wie es gewesen war, als er sie geküsst hatte, wie er sie angesehen hatte. Fast so wie Dagan Roxy angesehen hatte. Sie dachte an seine unsagbar schönen blauen Augen. Dann verlagerte sie das Gewicht nach vorn und ließ sich in die Fluten fallen.
    Die Zeit war aus den Fugen. Alastor schritt am Flussufer entlang und überlegte. Es mussten Wochen vergangen sein, wenngleich er sich sicher war, dass die Spanne nach menschlichemZeitmaß nicht so lang sein konnte.
    Er streckte seinen kleinen Vorrat an Toffees so weit er konnte, auch wenn das bedeutete, in wiederkehrenden Schüben Schmerzen zu ertragen. Damit wurde er fertig. Es waren nur Schmerzen. Die waren endlich. Irgendwann hörten sie auf. Das hatte er unter Kontrolle.
    Er holte aus der Tasche die verbliebenen Toffees hervor. Es waren drei Stück, die er auf der Handfläche hielt. Er steckte sie wieder ein und ging weiter.
    Naphré hatte er mit Erfolg ans rettende Ufer bugsieren können, bevor die Strömung ihn mit sich genommen hatte. Fast als hätte der Fluss sie trennen wollen. Vielleicht war es tatsächlich so. Vielleicht war Naphré jetzt schon bei Izanami, oder die Shikome hatte sie sich geschnappt, sobald sie getrennt gewesen waren. Es war ein widerwärtiger Gedanke, von dem ihm schlecht werden konnte. Oder Naphré irrte irgendwo herum – einsam, verängstigt, hungrig, dem Tode nahe.
    Er konnte ohne Wasser und Nahrung auskommen. Seine göttliche Natur hielt die menschliche in ihm am Leben. Zugegeben, angenehm war das nicht. Schon jetzt waren die Schmerzen, die er auszustehen hatte, so stark, dass er hätte schreien können. Aber er würde es überstehen. Lange Zeit.
    Für Naphré galt das nicht. Wie lange konnte sie mit ihren Vorräten auskommen?
    Er könnte natürlich sein Portal öffnen und augenblicklich von hier verschwinden. Das Problem war nur, dass diese Möglichkeit nur einmal bestand. Dass ihn Izanami noch einmal in ihr Reich lassen würde, war mehr als unwahrscheinlich. Und eines stand für ihn fest: Ohne Naphré würde er nicht gehen.
    Wieder übermannten ihn die Schmerzen in jeder Zelle seines Körpers. Alles in ihm schrie nach Zucker. Keuchend krümmte er sich, zwang sich aber, sich gleich wieder aufzurichten. Er musste das durchstehen.
    Als der Anfall halbwegs vorüber war, setzte Alastor seinen Weg stromaufwärts fort, wobei er angestrengt nach NaphréAusschau hielt. Er war entschlossen, sie zu finden, um sie zu retten. Und um ihr zu sagen, was er ihr schon längst hätte sagen sollen. Dass sie zu ihm gehörte. Man mochte es nennen, wie man wollte – Vorsehung, Schicksal, Liebe. Egal. Hauptsache Naphré.
    Das Wasser war kälter als kalt. Es war grausam. Die Strömung war so reißend, dass Naphré umhergeworfen wurde wie ein Stück Treibholz. Bald kopfüber, bald kopfunter zog es sie tief unter Wasser. Es drohte, ihr die Lungen zu zerreißen. Sie wusste oft nicht mehr, wo oben und unten war, bis sie unversehens wieder auftauchte und es ihr gelang, den Kopf lange genug über Wasser zu halten, um Atem zu schöpfen. Es war der helle Wahnsinn, dass sie sich auf dieses Wagnis eingelassen hatte. Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. Wahnsinn war dieser ganze Trip. Ein Ausflug in die Unterwelt war nichts für Normalsterbliche. Dafür gab es keinen Rückfahrschein. Aber noch hatte Naphré mit ihrem Leben nicht abgeschlossen, auch

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