Seelensunde
angetroffen werden, ist deine Seele verwirkt.“
Wieder spürte Alastor Sutekhs Unwillen. Sein Blick bohrte sich ihm in den Rücken, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern hielt den Blick auf die Shikome gerichtet.
„Gut, ich habe verstanden.“ Alastor händigte ihr Butchers Schwarze Seele aus und bot all seine Selbstbeherrschung auf, um nicht zu erschauern, als ihre Hand die seine dabei berührte. Die Berührung fuhr ihm eisig bis ins Mark. Einer der Würmer kroch über seinen Handrücken, dann noch einer. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit verschwanden sie in seinem Ärmel, aber er ließ sich nichts anmerken und bildete sich sogar ein, dass die Shikome diese Willensanstrengung mit einigem Wohlwollen quittierte.
Wieder machte Sutekh eine vage Handbewegung, und die Tierchen gingen in Flammen auf. Unglücklicherweise fing dabei auch der Ärmel des Anzugs Feuer, den Alastor trug. Die Verbrennungen waren schmerzhaft und reichten vom Handgelenk bis zur Schulter hinauf. Es wäre für Sutekh ein Leichtes gewesen, das Feuer zu löschen und die Brandblasen verschwinden zu lassen. Aber er dachte gar nicht daran. Sollte sein Sohn also dafür büßen, dass er seine Kompetenzen so weit überschritten hatte.
Die Shikome erhob sich ein trat einen Schritt auf Alastor zu. Offenbar wollte sie ihm helfen, aber vielleicht bildete er sich das nur ein. Jedenfalls hielt er sie mit einer Geste zurück. „Es ist schon gut. Nichts passiert.“ Dabei schmerzte die Wunde höllisch, und das war auch genau das, was Sutekh bezweckt hatte.
Also nahm die Shikome Butchers Seele mit sich und damit die Geheimnisse, die sie bergen mochte, und schritt auf die Flügeltürdes Audienzsaals zu. An der Tür blieb sie stehen und sagte, ohne sich umzudrehen: „Und bring das Mädchen mit.“
Es klang nicht wie eine Bitte. Es war ein Befehl.
Natürlich war niemand anderes als Naphré gemeint. Alastor war nahe dran zu widersprechen, hielt sich aber im letzten Augenblick noch zurück.
„Sie bekommt wie du freies Geleit, und ich garantiere für ihre Rückkehr. Aber merke dir: Nur durch sie bekommst du Zutritt nach Yomi. Sie allein ist für dich der Schlüssel. Ohne sie kommst du nicht herein. Und alles, was dir diese Schwarze Seele bedeutet, ist für dich ein für alle Mal verloren.“
9. KAPITEL
Man kann einen Ziegel noch so sehr polieren, er wird doch nicht zu Gold.
Japanisches Sprichwort
Der Tempel der Setnakhts, Toronto
N aphré stand auf der anderen Straßenseite und schaute zum Tempel der Setnakhts hinüber. Sie holte einen handlichen, kleinen Plastikbeutel aus der Tasche und schüttelte ihn, um den Inhalt durchzumischen. Es war ihre Spezialmixtur aus den Früchten von Sojabohnen, mit Schokolade überzogenen Rosinen und Fischcrackern mit Käsegeschmack. Nicht jedermanns Sache, aber sie liebte diese Mischung aus Süßem und Salzigem, auch wenn sie niemanden kannte, der diese Vorliebe mit ihr teilte. Wenn sie jemandem von ihren Freunden davon anbot, erntete sie bestenfalls ein bedauerndes Kopfschütteln. Selber schuld, sagte sie sich dann.
Seit geschlagenen drei Stunden stand sie nun schon hier. In dieser Zeit hatte es ein reges Kommen und Gehen durch das protzige Portal aus Chrom und Glas gegeben, das ins Innere des imposanten Backsteinbaus führte. Der Gebäudekomplex aus dem achtzehnten Jahrhundert hatte früher zu einer Fabrik gehört und war in jüngster Zeit aufwendig restauriert worden, bevor er zum Hauptsitz der Setnakhts in Kanada geworden war.
Es sah aus, als würde dort drüben eine Party stattfinden. Nichts Besonderes, keine große Abendgarderobe. Naphrés Gedanken schlugen eigenartige Wege ein. Ihre Assoziationen führten sie von langen Kleidern und Smokings zu teuren, perfekt geschnittenen Anzügen und von da aus direkt zu Alastor Krayl. Knapp achtundvierzig Stunden waren vergangen, seit sie ihn auf dem Friedhof getroffen und er später unter ihrem Fenster gestanden hatte. Ein perfektes Mannsbild. Nur die graue Wolkedaneben, die Butchers Seele darstellte, hatte das Bild empfindlich gestört.
Das war ganz gut so. Denn aus dem Alter für solche Schwärmereien – und dann noch für einen Seelensammler aus der Unterwelt – sollte sie heraus sein. Sollte sie … Nur waren es keine Schwärmereien. Es war unverkennbar das sexuelle Verlangen einer erwachsenen, sechsundzwanzigjährigen Frau. Umso schlimmer. Eine Katastrophe.
Mit Mühe gelang es Naphré, sich von diesen Gedanken loszureißen und sich wieder darum zu kümmern, was
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