Seelensunde
zusammen. Wenn Sutekh etwas über die wahren Gründe sagte, wäre das fatal. Immerhin war nicht auszuschließen, dass Izanami hinter dem Komplott steckte, das Lokan das Leben gekostet hatte. Trauen durfte manniemandem in der Unterwelt. Aber Alastors Sorge war unbegründet. Sutekh war mit allen Wassern gewaschen und hatte immer schon die Gabe gehabt, allzu direkten Fragen auf elegante Art auszuweichen.
„Diese Seele interessiert mich einfach“, meinte Sutekh gelassen. „Mehr ist dazu nicht zu sagen. Aber ich hätte in der Tat eine, die ich als Ersatz anbieten könnte, eine, die im Buch meiner Schuldner steht. Sie ist mir nicht von anderer Seite versprochen worden. Sie hat sich mir selbst angeboten.“
„Welche ist das?“
Sutekh erhob sich. „Folgen Sie mir bitte.“
Er ging zu dem aufgeschlagenen Buch auf dem Stehpult. Dort angekommen, zeigte er auf einen der Namen, die in langen Kolonnen auf den Seiten verzeichnet waren. Die Shikome beugte sich vor, um besser sehen zu können. Dann fuhr sie mit einem Ruck zurück. Sie schien aufgebracht zu sein. Es sah aus, als ob das Getier, das sie bedeckte, an Umfang zunahm, sodass sie noch größer und Furcht einflößender wirkte. Auch das Kriechen und Krabbeln kam in heftigere Wallungen. Selbst Alastor schauderte bei dem Anblick.
„Was du anbietest, ist jemand, dessen Loyalität nicht ungeteilt ist und der sehr undurchsichtige Verbindungen unterhält. Aber ich werde mit Izanami reden. Ich kann diese Entscheidung nicht treffen.“ Alastor kam es vor, als ob das Getier, in das sie gehüllt war, mit winzigen klickenden Lauten ihre Rede bekräftigen wollte.
Sutekh sah die Shikome nur stumm an. Die Kuppe seines Zeigefingers wies noch immer auf dem Namen. Ohne sich um die Erlaubnis seines Vaters zu kümmern, trat Alastor hinzu, um seinerseits einen Blick auf das Buch zu werfen. In einer säuberlichen, engen Handschrift waren die Namen dort notiert, aber ein Name sprang ihm sofort ins Auge. Er erstarrte wie vom Donner gerührt. Naphré Misao Kurata.
Es fühlte sich an wie ein ungeheurer Faustschlag in die Magengrube. Alastor hatte alle Mühe, seine Emotionen, die er bisherso sorgfältig verborgen hatte, unter Kontrolle zu halten. Unzählige Fragen stürmten auf ihn ein. Wieso war die Shikome ausgerechnet in dem Moment aufgetaucht, als sie kurz davon gewesen waren, Butchers Schwarze Seele zu befragen? Warum wollte die Shikome Naphrés Seele nicht, und was bedeutete ihre Bemerkung über die nicht ungeteilte Loyalität und die undurchsichtigen Verbindungen? Und vor allem: Wie kam Naphrés Name in dieses verdammte Buch?
Die Abgesandte Izanamis streckte die Hand aus. Alastor blieb nichts anderes übrig, als ihr Butchers Seele zu überlassen. Es hatte keinen Zweck mehr, sich zu weigern. Ohnehin war es allein Sutekh, der vermochte, Butchers Erinnerungen wieder ans Licht zu bringen, indem er die Schwarze Seele verschlang – wenn sie überhaupt noch Erinnerungen enthielt.
Alastor war blass geworden. „Wohin wirst du sie bringen?“, fragte er.
„In unser Totenreich Yomi.“
Alastor nickte. „Ich möchte Zutritt dorthin bekommen“, sagte er. „Ich möchte mit Izanami-no-mikoto sprechen.“ Er musste ihn nicht ansehen, sondern spürte den missbilligenden Blick seines Vaters. Aber darauf nahm er keine Rücksicht. „Und ich möchte dich auch bitten“, fügte Alastor nach einer Pause hinzu, „diese Schwarze Seele unangetastet zu lassen, bis ich deiner Herrin mein Anliegen vorgetragen habe.“
„Du würdest im Ernst meinem Wort vertrauen?“
Alastor glaubte aus den Worten der Shikome eine Spur von Spott, ja, beinahe Belustigung herauszuhören. Er sah sie aufmerksam an und hätte sich gewünscht, so etwas wie Gesichtszüge, wenigstens ein Paar Augen erkennen zu können, um ihre Reaktion zu deuten. Da weder das eine noch das andere vorhanden war, musste er sich auf seinen Instinkt verlassen. Und der sagte ihm, dass er sich auf ihr Wort tatsächlich verlassen konnte. „Ja, das tue ich“, erklärte er.
Es geschah etwas Seltsames. Die Hülle der winzigen Tierchen, die sie umgab, zog sich zusammen und dehnte sich gleichdarauf wieder aus. Alastor verstand das als Ausdruck der Überraschung der Shikome, die sonst keine Gemütsbewegung preisgab.
„Der Zutritt ist dir gewährt, Reaper“, sagte sie. „Aber sieh zu, dass du vor dem Treffen der Großen der Unterwelt da bist. Länger gilt diese Einladung nicht. Solltest du die Frist überschreiten und danach in Izanamis Reich
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