Seelensunde
auf der anderen Straßenseite vor sich ging. Sie blickte kurz an sich herab. An ihrem Aufzug war nichts auszusetzen: schwarze Jeans, Jeansjacke, graues Top, ein wenig ausgetretene Stiefel. Wenn sie nicht gerade die Jacke auszog, sodass man das Messer sah, das hinten im Gürtel steckte, fiel sie nicht auf. Auf eine Pistole hatte sie an diesem Abend verzichtet. Für eine Beschattung war die nicht notwendig.
Naphré steckte die Tüte mit den Snacks wieder ein und ging lockeren Schritts über die Straße. Sie brauchte nur durch die Tür hineinzuspazieren. Kein Problem.
Doch – es gab ein Problem. Die Tür war verschlossen. Sie rüttelte daran, aber vergebens. Naphré presste das Gesicht an die Glasscheibe und versuchte, drinnen etwas zu erkennen. Die Halle war jetzt menschenleer. Alle, die sie kurz zuvor noch hatte hineingehen sehen, waren verschwunden. Über ihre Träumereien eben hatte sie nun auch noch den richtigen Zeitpunkt verpasst. Das ärgerte sie.
Wie aufs Stichwort erschien ein Wachmann, der von links zielstrebig auf sie zukam. Naphré wappnete sich mit ihrem strahlendsten Lächeln. Der Mann ging an ihr vorbei, schloss auf und wollte ins Gebäude gehen. Geschickt schob sie sich mit ihm durch die Tür. Er drehte sich zu ihr um und versperrte ihr den weiteren Weg. Er war hoch aufgeschossen und abgesehen von dem Ansatz eines Bierbauchs eher hager. „Ein Glück, dass Sie gekommen sind“, flötete Naphré. „Ich dachte schon, ich wäreausgesperrt und müsste den ganz Spaß verpassen.“
Der Wachmann bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. „Das ist keine öffentliche Veranstaltung“, erklärte er barsch.
„Nein, natürlich nicht. Aber ich bin eingeladen“, plapperte Naphré munter drauflos. „Mein Gastgeber ist … Wie heißt er denn noch?“
Der Lange schob sie wortlos zurück, schloss energisch die Tür von innen und drehte den Schlüssel im Schloss. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, durchquerte die Halle und verschwand, ohne sich noch einmal umzublicken.
Kuso .
Frustriert schob Naphré die Hände in den Hosentaschen. Sie ging zurück über die Straße. Dort hockte sie sich hin, indem sie mit dem Rücken an eine Hauswand lehnte. Ihr knurrte der Magen. Das Mittagessen war ausgefallen. So konnte sie sich nur an ihren Notproviant in dem kleinen verschließbaren Gefrierbeutel halten. Sie säuberte sich die Finger mit Sterilium, das sie immer in einer Taschenflasche bei sich trug, und aß ein wenig von dem Knabberzeug, während sie nachdenklich das aufgepeppte ehemalige Fabrikgebäude betrachtete, das jetzt den Setnakht-Kult beherbergte.
Nach einer Weile sah sie den Wachmann wieder. Er rüttelte von innen an beiden Flügeln der Tür, um zu überprüfen, dass sie abgeschlossen waren. Guter Mann, dachte Naphré, der nimmt seinen Job auf jeden Fall ernst.
Sie war sich unschlüssig, was sie als Nächstes tun sollte. Es gab mehrere Möglichkeiten. Sie konnte nachschauen, ob es einen Weg gab, in das Gebäude einzubrechen. Sie konnte aber das ganze Unternehmen für diesen Abend auch abblasen und am nächsten Morgen wieder hierherkommen, um dann zu versuchen, bei der ehrenwerten Hohen Priesterin Djeserit Bast einen Termin zu bekommen. Letzteres schien der vernünftigere Weg zu sein. Der Haken daran war, dass sie schon seit zwei Tagen vergeblich versuchte, sich mit der Frau zu verabreden.
Dennoch musste sie sich wohl oder übel dafür entscheiden,denn für diesen Tag stand noch ein dringender Punkt auf der Liste zu erledigender Dinge, und das war die Beschwörung ihres Dämons. Das wäre dann der vierte Versuch innerhalb von zwei Tagen. Drei säuberlich parallele Schnitte unter einem Verband um ihren Unterarm zeugten von den ersten dreien. Die Erlebnisse der Nacht auf dem Friedhof lasteten ihr noch schwer auf dem Gemüt. Die Nacht darauf war nicht viel besser gewesen. Bis in die frühen Morgenstunden hatte sie vergeblich versucht, mit diesem saumseligen Dämon in Verbindung zu treten, dem sie ihre Seele abgetreten hatte.
Dabei hatte sie seine Anweisungen peinlich genau befolgt. Mit gekreuzten Beinen hatte sie auf dem Boden gesessen. Um sich herum hatte sie einen Kreis aus grobem Salz ausgestreut und ein paar Spritzer ihres Bluts auf die Goldoblate gegeben, die ihr der Dämon in jener Nacht überlassen hatte, als sie sich das erste Mal begegnet waren und der Handel abgeschlossen worden war.
Danach hieß es warten. Und warten. Und warten. Noch zweimal hatte sie die Prozedur wiederholt. Jedes Mal
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