Seelensunde
verloren.
Sutekh machte eine einladende Geste zum Audienzsaal hin und sagte zu der Besucherin: „Wollen wir das nicht in aller Ruhe besprechen? Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten? Honigkuchen vielleicht? Ein Tässchen Tee?“
Alastor warf einen Blick auf die eigenartige Erscheinung und fragte sich, wo ihr Mund sein mochte. Das Einzige, was er beobachtet hatte, war eine Art Loch dort, wo das Gesicht hätte sein sollen, das sich bewegte, wenn sie sprach, und sich mit Tausendfüßlern und Spinnen füllte, wenn sie es öffnete.
„Ich brauche nichts, vielen Dank. Ich würde mich nach der langen Reise nur gern setzen.“
„Kommen Sie“, meinte Sutekh freundlich.
Er ging voran und bot dem Gast einen der Sessel aus Zedernholzan. Kaum hatte die Gestalt sich darauf niedergelassen, war das Möbel unter einer dichten, schimmernden, sich unaufhörlich bewegenden Schicht von Gewürm verschwunden.
Indessen trat Sutekh an ein Stehpult, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag. Nachlässig blätterte er eine Weile darin, hielt dann inne und fuhr mit dem Zeigefinger über eine lange Liste von Namen, bis er gefunden zu haben schien, was er suchte. Er warf Alastor einen kurzen Blick zu, und obwohl seine Miene dabei regungslos blieb, erschrak Alastor. Er kannte diesen Seitenblick und kannte die Hinterlist seines Vaters.
Sutekh führte einmal mehr etwas im Schilde, das an Niedertracht nicht zu überbieten war. Er wandte sich wieder an seinen Gast. „Darf ich wissen, wer Sie sind? Sie haben doch sicher einen Namen.“ Er setzte sich auf seinen Platz.
Die merkwürdige Erscheinung schüttelte den Kopf. „Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin eine der acht Shikome, mehr nicht.“
Alastor versuchte hinter diese Fassade aus Kriechtieren zu schauen und meinte eine starke, stolze Kreatur zu entdecken, eine, die über eine beachtliche Macht verfügte. Sutekh hatte wohl eine ähnliche Beobachtung gemacht, denn er behandelte sie mit dem Respekt, der einem ebenbürtigen Gegner gebührte.
„Wie sind Sie eigentlich an meinen Wachen vorbeigekommen?“
„Damit.“ Sie zog aus ihrem Wurmgewand ein ovales, dünnes Goldplättchen hervor. Alastor erkannte eine Kartusche, auf der in Hieroglyphen Sutekhs Name eingraviert war. Die Kartusche stammte aus Sutekhs Hand, und wer sich damit ausweisen konnte, hatte jederzeit freien Zugang zu ihm. Sutekh war äußerst wählerisch und sparsam mit der Ausgabe dieses Siegels.
„Woher haben Sie das?“, fragte Alastor und trat näher, um das Goldplättchen genauer in Augenschein zu nehmen.
„Izanami und ich haben früher miteinander zu tun gehabt“, antwortete Sutekh an ihrer Stelle, ohne den Blick von ihr zu wenden. „Ich habe ihr die Kartusche als Zeichen meiner Dankbarkeitgegeben, weil sie mir in einer etwas delikaten Angelegenheit behilflich gewesen ist.“ Zur Shikome gewandt, erkundigte er sich höflich: „Werde ich denn bei dem großen Treffen das Vergnügen haben, Izanami zu sehen?“
„Diese Frage gehört nicht hierher“, beschied die Shikome, die steif auf der äußersten Kante des Sessels saß. „Das musst du Izanami selbst fragen.“
„Ich habe sie schon gefragt. Ich hatte einen Abgesandten zu ihr geschickt, aber keine klare Antwort erhalten.“
„Ich bin nur befugt, über die Seele zu sprechen, die Izanami-no-mikoto gestohlen wurde, nicht mehr.“
Sutekh gab mit einem Nicken zu verstehen, dass er verstanden hatte. „Welches sind die Bedingungen?“
„Die Rückgabe der Seele und des Herzens. Über einen Deal“, sie warf einen raschen Blick auf Alastor, „kann ich nicht verbindlich entscheiden. Ich kann ihn Izanami unterbreiten. Wenn sie ablehnt, wird das Ganze gegenstandslos.“
„Selbstverständlich.“
„Du möchtest also diese Seele behalten?“ Sie deutete mit einer Armbewegung auf den grauen Ballon, der noch immer vom Feuerband gehalten durch die Luft schwebte. Ein paar Kriechtiere fielen ihr bei der Bewegung aus dem Ärmel, die hastig über den Boden huschten.
„Ja, das möchte ich.“ Sutekh hob unmerklich den kleinen Finger, und das Ungeziefer ging in kleinen Stichflammen auf, sodass nicht mehr von ihm übrig blieb als ein winziges Häuflein Asche. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Niemand konnte wissen, in welcher Verbindung die Shikome zu diesen Viechern stand. Da war es schon besser, dafür zu sorgen, dass sie hier auch nicht den kleinsten Käfer zurückließ.
„Warum ist gerade diese Seele so wichtig für dich?“
Unmerklich zuckte Alastor
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