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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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graue Hose, weiße Bluse und eine lange, graue Strickjacke. Lippenstift. Wollte sie gerade ausgehen, oder trug sie den immer? Vera stand auf der Türschwelle und dachte, wie seltsam manche Frauen doch waren.
    «Kann ich Ihnen helfen?» Die Frau verlor schon die Geduld. Sie war verwirrt, das sah Vera deutlich. Der Wagen, mit dem Vera gekommen war, war groß, neu und ziemlich teuer. Eine der Annehmlichkeiten ihres Dienstgrades. Mrs Eliot hätte bestimmt eher einen erfolgreichen Mann darin vermutet. Vera aber war eine korpulente, schlampig gekleidete Frau ohne Strumpfhosen, die Haut voller Pusteln. Sie schminkte sich nie. Vera sah erbärmlich aus.
    «Ich komme von der Polizei Northumbria. Inspector Stanhope.» Irgendwo tief unten in ihrem Beutel lag auch ihr Polizeiausweis, aber da wollte sie jetzt lieber nicht rumwühlen. Sie könnte auf den Rest des Bacon-Sandwiches stoßen, das noch vom gestrigen Frühstück übrig war.
    «Ah ja?» Die Frau wirkte besorgt, aber nicht erschrocken, was ja eher die Regel war, wenn die Polizei unerwartet vor der Tür stand. Was habe ich verbrochen? Hat jemand einen Unfall gehabt? Ist meinem Mann, meiner Tochter oder meinem Sohn etwas zugestoßen? Simons Mutter dagegen war eher aufgeregt. Vielleicht hatte sie ja doch schon vom Tod ihrer Nachbarin gehört. Obwohl sie keine Trauer erkennen ließ und auch nicht versuchte, welche zu heucheln.
    Sie streckte die Hand aus. «Veronica Eliot. Sind Sie wegen Connie Masters hier? Sie hat ihren Namen geändert, aber ich habe sie sofort wiedererkannt. Ich wusste, dass schließlich doch noch Anklage erhoben würde.»
    Der Name kam Vera entfernt bekannt vor, aber sie ließ sich nicht ablenken.
    «Ich bin wegen Jenny Lister hier.»
    Die Frau runzelte die Stirn. Verwirrt? Enttäuscht? «Was ist mit Jenny?»
    «Ihr Sohn hat es Ihnen noch nicht erzählt?» Und dann, als die Frau den Kopf schüttelte: «Gut, Herzchen, warum lassen Sie mich nicht einfach reinkommen?»
    Veronica Eliot trat beiseite und ließ Vera in eine große Eingangshalle. Ein Bild an der Wand gegenüber der Haustür zog ihren Blick auf sich. Ein kleines Aquarell, das zwei steinerne Torpfosten und einen grasüberwachsenen Pfad zeigte. Vera fand, dass er einladend aussah, man wäre ihm gern gefolgt. Aber auf dem Bild schien er nirgends hinzuführen. Auf den Pfosten saßen gemeißelte Vogelköpfe. Kormorane, womöglich. Lange Hälse und lange Schnäbel.
    «Wo ist das?», fragte Vera.
    «Das ist die Einfahrt zu Greenhough, dem Haus meines Großvaters», sagte die Frau.
    «Hochherrschaftlich.»
    «Nicht mehr. In den dreißiger Jahren ist es abgebrannt. Heute steht nur noch das Bootshaus. Und diese Pfosten da.»
    Veronica wandte sich brüsk ab. Sie führte Vera einen kühlen Flur entlang und in die Küche. Der Dienstbotentrakt, dachte Vera. So schätzt sie mich also ein.
    Ohne einen Platz angeboten zu bekommen, setzte die Kommissarin sich auf den Stuhl am Kopfende des Tisches. «Jenny Lister ist tot. Ermordet. Deshalb ist Ihr Sohn Hals über Kopf davon: Er wollte sich um Hannah kümmern.»
    Das Gesicht der Frau ließ nichts erkennen. Wieder runzelte sie leicht die Stirn, was eher Missfallen auszudrücken schien als Bestürzung. Langsam setzte sie sich ebenfalls. Die Stühle waren aus hellem Holz, passend zum Tisch, und grau gepolstert. Ganz schön nobel und teuer – eine Küche, die aussah wie ein Sitzungssaal. Die Küchengeräte, riesig und aus rostfreiem Stahl, standen am anderen Ende des Raums, eine halbe Meile weit entfernt.
    «Verstehe», sagte Veronica schließlich. «Das wird wohl einer ihrer Schützlinge gewesen sein. Ich habe ja nie verstanden, weshalb jemand freiwillig in die Sozialarbeit geht. Denken Sie bloß mal an die Leute, mit denen man es da zu tun bekommt. Schauen Sie sich doch Connie Masters an.»
    Schon wieder dieser Name. Vera notierte sich, dass sie das überprüfen wollte, wenn sie wieder im Büro war. Sie selbst hatte ja auch nie besonders viel von Sozialarbeitern gehalten, aber jetzt, angesichts dieser Frau, verspürte sie den Wunsch, Jenny Lister zu verteidigen.
    Sie legte sich gerade eine Bemerkung zurecht, als Veronica weitersprach. «Das ist natürlich traurig, aber damit ist nun wenigstens diese lächerliche Idee mit der Hochzeit vom Tisch.»
    «Mögen Sie Hannah Lister denn nicht?» Vera war überrascht. Das Mädchen war ihr sofort sympathisch gewesen. Wenn ich einen Sohn hätte und der würde was mit einer Kleinen wie der da anfangen, ich würde mich freuen wie

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