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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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auch jeder sah, dass sie anderswo gebraucht wurde. Trotz der Ermahnung genoss sie es, sich unentbehrlich vorzukommen, das merkte Vera genau. Charlie war schon bei seinem zweiten Gebäckstück angekommen, an seiner Nase klebte Zuckerguss, und er hatte Krümel vorn auf dem Jackett. Und Ashworth runzelte die Stirn, während er seine Notizen durchging, er sah beinahe erwachsen aus. Vera war sich nicht sicher, ob die gewachsene familiäre Verantwortung ihm guttat. Er hatte seinen Sinn für Humor verloren, die Freude an seiner Arbeit. Sie hatte ihren Spielkameraden verloren.
    «Okay», sagte sie und lenkte die Aufmerksamkeit ihres Teams auf sich. Sie stand, den dicken schwarzen Filzstift gezückt, vor der weißen Kunststofftafel. «Mal sehen, was Sie haben. Holly? Haben wir noch etwas über Jennys Privatleben rausgefunden? Soweit ich weiß, ist das Haus schon durchsucht worden. Gibt’s da was Neues?»
    Holly strich sich das Haar aus dem Gesicht und tat so, als wäre ihr die Aufmerksamkeit unangenehm. «Hannah weiß nichts von einem neuen Freund. Sie sagt, in der Vergangenheit hat es ein paar Männer gegeben. Einer hat beim Nationalpark gearbeitet. Hannah zufolge war er ganz verrückt nach Jenny, aber die hat ihm vor etwa einem Jahr den Laufpass gegeben. Das hat Hannah überrascht. Sie dachte, ihre Mutter wäre auch verliebt. Seitdem weiß sie von keinem mehr.»
    «Wissen Sie, wie der Mann heißt?» Vera war klar, dass Holly das wusste. Holly war ehrgeizig und hütete sich davor, Anlass zur Kritik zu geben.
    «Sicher. Lawrence May. Alter: Ende vierzig. Geschieden. Keine Kinder. Sie sind zusammen spazieren gegangen und haben Vögel beobachtet.» Vera horchte auf: Vielleicht hatte Hector, ihr Vater, den Mann sogar gekannt. Auch Hector war ganz wild auf Vögel gewesen, vor allem darauf, sie zu töten und auszustopfen. Als sie sein Haus in den Bergen übernommen hatte, war die Kühltruhe voll mit toten Vögeln gewesen, die darauf warteten, dass er sich ihnen widmete. Als Präparator, der abseits der gesetzlichen Wege wandelte, hätte er May wohl als Feind betrachtet. Ein Hasenfuß, der Rotkelchen durchs Gefieder strich und nicht den Hauch einer Ahnung davon hatte, worum es beim Leben auf dem Lande eigentlich ging.
    «Haben Sie schon mit ihm gesprochen?»
    «Noch nicht.»
    Natürlich nicht. Sie waren ja vollauf damit beschäftigt, Mutter Teresa für das Mädchen zu spielen.
    «Machen Sie das morgen als Erstes.» Vera blickte auf den Teller mit dem Gebäck und sah, dass er leer war. Ihr Fehler. Sie hätte ihn nicht in Charlies Reichweite stehen lassen dürfen. «Sind unsere Leute bei der Durchsuchung von Jennys Haus und Büro auf irgendwas Interessantes gestoßen?»
    «Im Haus haben sie ihren Laptop gefunden», sagte Holly. «Wenn sie noch Kontakt mit Lawrence May hatte, sind bestimmt E-Mails drauf. Sie hat einen elektronischen Kalender geführt, aber der betraf hauptsächlich die Arbeit. Die von der IT schauen sich den Rest gerade an.»
    «Wir haben immer noch nicht ihre Handtasche gefunden», sagte Vera. «Eine Frau wie Jenny hatte mit Sicherheit eine Handtasche dabei. Wahrscheinlich auch eine Aktentasche. Holly, können Sie Hannah danach fragen? Sie weiß doch bestimmt, worin ihre Mutter ihren Krempel für gewöhnlich mit herumgetragen hat.»
    Holly nickte, aber Vera sah genau, dass sie mit den Gedanken nicht bei diesem profanen Kleinkram war. Sie dachte immer noch darüber nach, wie sie das Mädchen trösten könnte.
    «Ihrer besten Freundin zufolge gab es einen neuen Mann in ihrem Leben», sagte Vera. «Einen heimlichen Geliebten. Wenn sie wieder was mit May angefangen hätte, dann hätte sie doch keinen Grund gehabt, das geheim zu halten.»
    «Außer sie wollte erst mal abwarten, wie es sich entwickelt, bevor sie es an die große Glocke hängt», warf Joe Ashworth ein. Manchmal dachte Vera, dass er ihre feminine Seite verkörperte. Er besaß das Mitgefühl und sie die Muskeln. Na ja, die Masse. An Muskeln, das musste sie zugeben, mangelte es ihr leider. «Sie wollte sich vielleicht nicht lächerlich machen, erst verkünden, dass sie wieder zusammen sind, und dann geht es wieder in die Brüche.»
    «Die Freundin meint, dass der Neue vielleicht verheiratet ist», sagte Vera. «Das sollten wir im Hinterkopf behalten. Wir haben bislang kaum ein anderes Motiv.»
    «Abgesehen vom Elias-Jones-Fall.» Charlie sprach mit vollem Mund. «Der hat jede Menge Hass und Wut ausgelöst.»
    «Dann schauen wir uns den noch mal genauer an.»

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