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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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verspürte sie Neid. So was will ich auch.
    Sie kannte das Haus nur von der Straße aus, und es kam ihr wie ein unbefugtes Betreten vor, als sie durch das Holztor trat und die Stufen zur Eingangstür hinaufging. Das Haus war nicht besonders alt, es war nicht mal besonders imposant. Ein massiver Kasten, gebaut – so schätzte Connie – in den Fünfzigern, verputzt und weiß getüncht, mit Kletterpflanzen, die am Hauseck emporwuchsen und die Kanten weicher erscheinen ließen. Beeindruckend war nur der riesige Garten. In einen schicken, städtischen Vorort hätte das Ganze besser hineingepasst. Das Imitat eines Landhauses für das Imitat einer Landlady. Einen Moment lang fühlte Connie sich überlegen: Ihr winziges Cottage war wenigstens authentisch. Es stand schon seit Hunderten von Jahren an seinem Platz und war aus der Landschaft heraus entstanden. Es schimmelte darin und war dunkel, aber es hatte Stil.
    Alice war sehr ruhig. Nach der Spielgruppe war sie immer erschöpft. Sie fragte nicht einmal, wieso sie nicht schnurstracks nach Hause gingen – und was hätte Connie darauf auch geantwortet? Mummy möchte ihre Feindin kennenlernen.
    Die Tür ging auf, und da stand Veronica. Wollte sie Connie schnell ins Haus ziehen, bevor ihre Freundinnen sahen, dass sie sich miteinander verbrüderten? Konnte man unter Frauen überhaupt von «verbrüdern» sprechen? Der Schlafmangel und die Ereignisse des vergangenen Tages hatten Connie benommen gemacht. Sie fühlte sich, als hätte sie etwas getrunken, seltsame Gedanken jagten ihr durch den Kopf. Niemand wusste, dass sie hier war. Eine Frau aus dem Dorf war schon ermordet worden. Sollte sie das nächste Opfer sein? Sie stellte sich Veronica als Mörderin vor und musste grinsen, als sie sich ausmalte, wie die spitzen roten Nägel weiches Menschenfleisch zerfetzten.
    «Danke, dass Sie gekommen sind.»
    Veronica hatte erreicht, was sie wollte, und war nun in versöhnlicher Stimmung. Connie trat in eine Eingangshalle mit gebohnertem Parkett, Blumen in einer großen Kupferschale auf einem Tischchen, Gemälden an der Wand. Auf einem Ehrenplatz hing die Fotografie eines dunkelhaarigen jungen Mannes in Barett und Talar bei der Schulabschlussfeier.
    «Ich habe uns in der Küche etwas zum Essen hergerichtet.» Und sie hatte sich Mühe gegeben. Es gab Salat – «die ersten Blätter aus dem Frühbeet» –, kalten Braten, eine Pastete aus der Region, Ziegenkäse aus Northumberland und einen Laib Brot aus der Bäckerei in Rothbury. Im Kühlschrank war Weißwein kalt gestellt. Für Alice gab es kleine Würstchen, gestiftelte Karotten und einen selbstgebackenen Kuchen. Hatte Veronica den ganzen Vormittag damit verbracht, dieses Essen herzurichten, oder hatte sie all diese Leckerbissen ständig vorrätig?
    Sie will mehr als bloß ein bisschen Klatsch, den sie ihren Freundinnen weitererzählen kann.
    Doch Connie merkte, dass sie gegen ihren Willen dankbar war für die Aufmerksamkeit. Sie fühlte sich nicht mehr angriffslustig. Sie konnte sich nichts Angenehmeres vorstellen, als hier in dieser lichten, weißen Küche zu sitzen und gekühlten Wein zu trinken, während Veronica alte Spielsachen für Alice heraussuchte: Modellautos, die nicht erst ihrem Sohn, sondern bereits dessen Vater gehört hatten, ein Puzzle aus Holzteilen und einen Eimer mit Bauklötzchen.
    «Ist Ihr Mann immer noch auf Dienstreise?» Es war das ganz normale Zeug, was man so redete, doch Veronica sah sie an, als vermute sie eine tiefere Bedeutung hinter der Frage, etwas Beleidigendes oder Sarkastisches. Der Blick aber musste sie beruhigt haben, denn sie antwortete fast sofort.
    «Ja, auf einer Konferenz in Rotterdam.»
    «Aber Ihr Sohn ist über die Osterferien zu Hause?» Die Kunst des gesellschaftlichen Umgangs war doch gar nicht so schwer, dachte Connie. Langsam wusste sie wieder, wie es ging.
    Erneut schwieg Veronica kurz, warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Diesmal antwortete sie nicht, sondern hatte selbst eine Frage. «Wussten Sie, dass Simon, mein Sohn, mit Jenny Listers Tochter zusammen ist?»
    «Nein!» Connie brauchte eine Weile, um das zu verdauen. Auf dem Foto auf Jennys Schreibtisch war ein mageres, rothaariges Kind zu sehen gewesen, aber das musste natürlich längst älter sein, eine junge Frau. «Wie furchtbar das alles für sie sein muss! Ich bin ihr nie begegnet, aber ich hatte den Eindruck, dass sie und Jenny sich sehr nahestanden.»
    Veronica streckte den Arm aus und goss noch etwas Wein in das

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