Seelentod
Glas ihres Besuchs. «Ich nehme an, Sie haben Jenny mal besucht. Schließlich waren Sie ja beinahe Nachbarn.» Connie sah, dass Veronica selbst nur wenig trank.
«Nein! Ich wusste ja nicht mal, dass sie hier im Dorf wohnt.» Wenn ich es nur oft genug sage, werden mir die Leute dann glauben?
Veronica jedenfalls schien ihr zu glauben, denn plötzlich entspannte sie sich und schenkte Connie ein dünnlippiges Lächeln, eine rote Mondsichel, die auf dem Rücken lag. «Dann waren Sie also gar nicht miteinander befreundet.»
«Ich glaube nicht, dass Jenny sich überhaupt mit jemandem von der Arbeit angefreundet hat. Sie hat Arbeit und Privatleben ganz bewusst voneinander getrennt.»
«Sehr weise. Das ist auch die Philosophie meines Mannes. Ich kenne kaum jemanden aus seinem Büro.»
Das klang wehmütig, und Connie dachte, wie einsam und gelangweilt Veronica doch sein musste. Ihr Sohn stand auf eigenen Füßen und brauchte sie nicht mehr, ihr Mann war nie zu Hause. Kein Wunder, dass sie so viel Zeit mit dem Ausschuss der Spielgruppe und dem
Women’s Institute
verbrachte. So kam sie sich wenigstens nützlich vor. Fast hätte Connie Mitleid mit ihr bekommen, dann fielen ihr die feindseligen Blicke der Mütter aus der Spielgruppe wieder ein, die abfälligen Bemerkungen. So leicht konnte sie ihr das nicht verzeihen.
Veronica fuhr fort: «Natürlich gebe ich Abendessen für seine Kunden, aber das ist etwas ganz anderes. Sozusagen mit nach Hause gebrachte Arbeit. Als würde er sein Büro für den Abend hierher verlegen.» Jetzt schenkte sie sich doch ein volles Glas Wein ein. Vom Garten her schien ein blasses Licht herein und verlieh der Flüssigkeit einen leichten Grünton. «Das macht mir nichts aus. Ich freue mich, wenn ich ihn unterstützen kann.»
«Mich hat die Arbeit in den letzten Jahren auf ziemlich unangenehme Weise bis nach Hause verfolgt.» Connie lenkte ihre Aufmerksamkeit vom Weinglas auf Veronica. Sie hatte beschlossen, dass die Frau nicht einfach so davonkommen sollte, dass sich die Monate des gehässigen Geredes nicht mit einem Mittagessen in friedlicher Atmosphäre aus der Welt schaffen ließen. «Ich konnte weder verschnaufen noch entkommen. Als ich hierhergezogen bin, habe ich gehofft, ein wenig Ruhe zu finden, aber der Skandal ist mir natürlich bis ins Dorf gefolgt. Menschen, die bloß einen Teil von der Geschichte kennen, sind sehr gemein zu mir gewesen.»
«Die Leute waren sehr betroffen», sagte Veronica. «Das sind sie immer, wenn es um ein Kind geht.» Ihre Antwort kam scharf und schnell.
«Ich habe einen Fehler bei meiner Arbeit gemacht.» Warum verspürte sie das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen? «Andere Leute, die viel mehr Geld verdienen, als ich je verdient habe, machen auch Fehler bei der Arbeit, aber deren Bilder gehen nicht durch alle Zeitungen.»
«Da ist ein Kind ums Leben gekommen!» Das stieß sie aus wie einen Klagelaut, und Connie dachte plötzlich, es müsse etwas Persönlicheres dahinterstecken. Dass Veronica diesen Feldzug gegen sie geführt hatte, lag nicht bloß daran, dass sie eine Wichtigtuerin war, die sich in alles einmischen musste. Hatte sie selbst ein Kind verloren, hatte sie eine Fehlgeburt gehabt oder eine Totgeburt? Alice blickte aufgeschreckt von ihrem Spiel hoch. Als sie sah, dass die beiden Frauen offenbar immer noch in freundschaftlichem Gespräch am Tisch saßen, spielte sie weiter.
«Ja», sagte Connie ruhig. «Ein Kind ist ums Leben gekommen. Und seitdem denke ich jeden einzelnen Tag daran. Es war nicht nötig, dass Sie mich daran erinnern.»
Einen Augenblick lang saßen sie schweigend da. Draußen kam die Sonne hinter einer dünnen Wolke hervor, und plötzlich leuchtete alles auf, das Licht funkelte auf dem feuchten Rasen und ließ die Farben grell und unwirklich erscheinen. Veronica stand auf und öffnete ein Fenster, und aus dem Garten brach der ohrenbetäubende Gesang einer Amsel herein.
«Ich mache mir Sorgen um Simon», sagte sie. «Ich will nicht, dass er in all das hineingezogen wird. Vor ihm liegt eine akademische Karriere. Er besteht darauf, mit Hannah zusammen in dem Haus dort zu bleiben. Ich habe ihr angeboten, hierherzukommen, aber sie sagt, sie will in der Nähe ihrer Mutter bleiben. Das hört sich doch makaber an. Ihr Vater hat gesagt, sie soll zu ihm kommen, aber das will sie auch nicht.»
Connie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ich werde mich hüten, dir zu raten, wie du mit deinem Kind umgehen sollst. Alice, die sich plötzlich
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