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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Ashworths Frau arbeitete schon seit dem ersten Kind nicht mehr. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie er überleben sollte, wenn sie den ganzen Tag nicht da wäre. Plötzlich kam es ihm seltsam vor, dass er sich noch nie klargemacht hatte, wie abhängig er davon war, dass sie alles am Laufen hielt.
    Unterdessen redete Hilda weiter. «Früher war Jenny das, was man eine Rundum-Sozialarbeiterin nannte. Sie hat sich um alles gekümmert. Dann haben sie das System geändert, und sie hat sich auf Kinder spezialisiert. Schließlich war sie dann für Pflegefamilien und Adoptionen zuständig.» Sie blickte Ashworth durch kleine, rechteckige Brillengläser an. «Aber das wissen Sie bestimmt schon alles.»
    Er nickte. «Trotzdem, es ist sehr hilfreich, wenn jemand das mal zusammenfasst.» Die beiden alten Männer hätten ebenso gut nicht mehr im Zimmer sein können. Maurice sah aus, als würde er gleich einschlafen. Die Lastwagen, die vor dem Fenster vorbeirollten, rumpelten gleichmäßig im Hintergrund.
    «Sie hat einen Freund gehabt», sagte Hilda plötzlich. «Lawrence. Hat als Ranger im Nationalpark gearbeitet. Sehr nett. Einmal haben wir sie zum Abendessen eingeladen. Bevor Maurice den Schlaganfall hatte, haben wir gern Leute zu uns eingeladen. Das machen wir immer noch, aber jetzt nur noch enge Freunde.»
    «Was ist aus diesem Lawrence geworden?»
    «Keine Ahnung. Sie haben davon gesprochen, zusammenzuziehen, und als Nächstes erfahre ich, dass sie sich getrennt haben.»
    «Hat Jenny je mit Ihnen darüber gesprochen?»
    «Sie hat sich nicht bei anderen ausgeweint», sagte Hilda. Jetzt, wo die Schürze weg war, sah Ashworth, dass sie recht adrett gekleidet war. Sie trug einen Faltenrock und eine gelbe Baumwollbluse. Eine flotte Frau, in jedem Sinne des Wortes.
    «Aber Sie waren doch bestimmt fast wie eine Mutter für sie.»
    «Kurz, nachdem das passiert ist, habe ich sie im Garten gesehen. Sie hat furchtbar ausgeschaut. Totenbleich, und man konnte sehen, dass sie geweint hatte. Ich habe sie auf einen Kaffee hereingebeten. Da hat sie mir erzählt, dass sie sich getrennt haben. Ich habe was über Männer fallen lassen – was man so sagt, wenn jemand ganz geknickt ist: ‹Machen Sie sich keinen Kopf deswegen. Die meisten Männer haben eine krankhafte Angst, sich zu binden.› Irgendwie so was. Aber sie hat gesagt, dass Lawrence nicht so einer ist und dass es ihr Entschluss gewesen ist, ihn nicht mehr zu treffen.»
    «Hat sie gesagt, warum? Gab es da einen anderen?»
    «Aye.» Hilda blickte zu ihm hoch. «Jemand ganz und gar Unpassenden. Das waren ihre Worte, nicht meine. ‹Ich weiß ja, dass es falsch ist, aber ich kann einfach nicht anders. Bei ihm fühle ich mich lebendig.› Das hat sie mir gesagt.»
    «Hat sie Ihnen sonst noch was über ihn erzählt? Ihnen ist doch klar, wie wichtig das sein könnte.»
    «Sie hat sich für die Verbindung geschämt.» Die pummelige kleine Frau sah Ashworth an, um sicherzugehen, dass er auch verstand, was sie sagte. «Mir ist das nicht sehr ersprießlich vorgekommen. Man sollte sich für die Wahl seines Partners nicht entschuldigen müssen. Vielleicht ist sie ihm ja zufällig begegnet, und sie hatten das, was man einen One-Night-Stand nennt. Ich habe mich aber auch gefragt, ob sie ihn womöglich durch die Arbeit kennengelernt hat.»
    «Ein Kollege?» Ashworth ahnte, was für ein Stirnrunzeln das ausgelöst hätte, aber wenn man mit einem Sozialarbeiter ins Bett ging, musste man sich deswegen doch noch lange nicht schämen.
    «Wohl eher einer von ihren Schützlingen, meinen Sie nicht auch?» Jetzt redete Hilda mit Ashworth, als wäre er ihr ebenbürtig, fast so scharfsinnig wie sie selbst. «Das habe ich schon früher befürchtet. Jemand tut ihr leid, sie versucht, ihm zu helfen, und dann kommen Gefühle ins Spiel.»
    Auch Ashworth verstand, wie so was passieren konnte und weshalb es ein Geheimnis bleiben musste. Wahrscheinlich verstieß es gegen die Vorschriften ihres Berufs, und Jenny hätte zudem wie eine Närrin dagestanden. Die coole, professionelle Sozialarbeiterin, die sich mit einem Verlierer einlässt. Wie hätte das wohl ausgesehen?
    «Vielleicht war es ja auch ein verheirateter Mann», sagte Ashworth. «Jemand von hier, jemand, den Sie vielleicht kennen, und sie wollte Ihnen deshalb nichts von ihm erzählen.» Die Vorstellung, dass Jenny sich in einen ihrer Schützlinge verliebt hatte, kam ihm einleuchtender vor, aber er musste auch andere Möglichkeiten

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