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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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war dem Mann nur zweimal begegnet und hätte ihn nicht beschreiben können – hätte zum Beispiel keines dieser Fahndungsbilder am Computer erstellen können, welche die Polizei immer bei
Crimewatch
zeigte –, doch sie hatte gespürt, was für ein Mensch er war. Einer, der wusste, was er wollte, und erwartete, dass er es auch bekommen würde. Einer, der überall die Aufmerksamkeit auf sich zog.
    «Wie äußert sich das?» Das Stirnrunzeln war verschwunden, und Connie sah, dass sie jetzt Jennys ganze Teilnahme besaß.
    Connie schüttelte frustriert den Kopf, weil es ihr einfach nicht gelang, die richtigen Worte zu finden. «Darin, wie er einen anschaut. Mit so einem zwingenden Blick. Dem würde man alles sagen, was er wissen will. Fast wie einem Priester bei der Beichte.» Connie war katholisch erzogen worden, und obwohl sie das alles natürlich abgeworfen hatte, sobald sie eigenständig denken konnte, wurde sie immer noch von der Macht des Glaubens verfolgt.
    «Was bringt einen solchen Mann dazu, sich mit Mattie einzulassen?» Darüber hatten sie auch früher schon gesprochen, aber auf einmal schien Jenny sich deutlich stärker für den Mann zu interessieren. «Er ist augenscheinlich sehr gebildet und besitzt, wie Sie sagen, eine gewisse Anziehungskraft. Glauben Sie, es geht ihm darum, Macht auszuüben? Will er eine Frau, die sich ihm unterwirft?»
    «Gut möglich.»
    Da beugte Jenny sich vor. «Ich glaube, ich sollte ihn mir einmal selbst ansehen. Damit will ich Ihre Kompetenz nicht anzweifeln, ganz und gar nicht, aber er könnte eine Gefahr darstellen, nicht nur für Mattie und Elias, sondern auch für andere unbedarfte junge Mütter und deren Kinder. Ich würde mir gern einen eigenen Eindruck verschaffen.»
    Hin und wieder hatte Jenny so was gemacht: die Nase in den Fall eines ihrer Mitarbeiter gesteckt, um sich selbst eine Meinung zu bilden. Da kam ihre Kontrollsucht zum Tragen, so hatte das Team es gedeutet; und es gefiel ihnen zwar nicht, da Jenny unweigerlich auf etwas stieß, das sie selbst übersehen hatten, aber sie bewunderten doch, wie gründlich sie war.
    Jetzt, in dem düsteren Cottage am Fluss, versuchte Connie, sich daran zu erinnern, was aus diesem Entschluss geworden war. Hatte Jenny ein Treffen mit Morgan vereinbart?
    Auf jeden Fall war ein solches Treffen während des Gerichtsverfahrens und der Anhörung vor dem Disziplinarausschuss nie erwähnt worden, da war Connie sich sicher. Wenn Jenny sich mit Morgan getroffen hätte, dann hätte sie das garantiert irgendwo vermerkt. Man hätte sie vielleicht sogar als Zeugin aufgerufen und gebeten, ihre Einschätzung von dem Mann und seinem Einfluss auf die junge Mutter abzugeben. Matties Anwalt hatte versucht, Morgan mit Elias’ Tod in Verbindung zu bringen: «Dieser Mann hat alle kontrolliert. Er hat Miss Jones den Eindruck vermittelt, er würde zu ihr zurückkehren, wenn sie nur ihren Sohn loswürde. Man könnte beinahe sagen, dass er eine Mutter dazu angestiftet hat, ihren Sohn umzubringen.» Auf diese Äußerung hin hatte das Gericht ihn vorgeladen, und anscheinend hatte Morgan einen guten Eindruck auf die Geschworenen gemacht. Connie war nicht bei der Verhandlung gewesen, bei der er aussagte, aber sie hatte mit Leuten gesprochen, die da gewesen waren und sagten, dass er fürsorglich und freundlich gewirkt habe. Charmant geradezu. Was hätte Jenny wohl von ihm gehalten? Das wollte Connie jetzt unbedingt wissen. Warum habe ich sie nicht gefragt, solange ich noch die Gelegenheit dazu hatte?
    Plötzlich wurde es dunkel im Zimmer, und Connie bemerkte eine Gestalt vor dem kleinen Fenster, die das bisschen Licht schluckte, das sonst hereinfiel. Da stand jemand draußen und schaute ins Haus. Eine dicke ungepflegte Frau mit einem Mondgesicht. Connie kam zu dem Urteil, dass es sich um eine der Zigeunerinnen handeln musste, die hin und wieder auftauchten und Geschirrtücher oder Glückssträußchen verkaufen wollten. Schnell ging sie zur Tür, bevor die Frau anklopfte und Alice weckte, und war überrascht, um wie viel wärmer es draußen war als im Zimmer.
    «Ich kaufe nichts.» Am besten gleich zu Beginn bestimmt auftreten, ehe die Leute mit ihrem Verkaufsgesäusel überhaupt anfingen.
    «Ach, Herzchen, ich will doch nichts verkaufen.» Die Frau grinste. Sie stand da wie ein Fels und wich nicht von der Türschwelle.
    «Ich brauche auch keinen religiösen Zuspruch.»
    «Ich auch nicht.» Die Frau seufzte. «Mein Vater war so eine Art Wissenschaftler und hat

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