Seelentod
ausloten.
«Kann sein.» Hilda sah nicht überzeugt aus. «Aber heutzutage scheint es für die Leute keine so große Sache mehr zu sein, wenn sie eine Affäre haben. Ich weiß nicht, ob Jenny sich dann so furchtbar aufgeregt hätte. Und überhaupt, wenn es jemand von hier gewesen wäre, hätte ich bestimmt schon vorher davon erfahren.» Ihr Tonfall deutete an, dass es daran keinen Zweifel gab.
«Cuthbert hat gesagt, dass er die Hälfte der Leute, die jetzt im Dorf leben, nicht mehr kennt.»
Hilda grinste ihn verschmitzt an. «Aye, mag sein. Cuthbert ist aber auch nicht Mitglied im
Women’s Institute
.»
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Kapitel Achtzehn
Als sie am Morgen nach dem Besuch bei Veronica Eliot aufwachte, fühlte Connie Masters sich ausgelaugt und erschöpft. Sie fuhr nach Hexham, um einzukaufen, hielt auf dem Rückweg aber nicht mal mehr auf einen Kaffee in der Stadt an. Vor dem Fenster eines Zeitungshändlers auf der Hauptstraße hatte eine riesige Schlagzeile geprangt: TOD EINER SOZIALARBEITERIN AUS DEM TYNE VALLEY. DIE ERMITTLUNGEN LAUFEN. Noch hatte niemand den Namen Elias Jones damit in Verbindung gebracht, doch vermutlich war es bloß eine Frage der Zeit, bis es den Reportern auffiel und sie wieder zur Jagd auf Connie blasen würden.
Alice war in der Nacht ein paar Mal wach geworden, heimgesucht von den alten Albträumen. Teilnahmslos trottete sie neben Connie durch den Supermarkt, hing an ihrer Hand, und als sie nach Hause kamen, schlief sie gleich nach dem Mittagessen auf dem Sofa ein, vor dem Fernseher mit dem Kinderprogramm. Connie deckte sie zu und ließ sie schlafen. In dem stillen Haus, mit dem Bachplätschern im Hintergrund, versuchte sie, sich in ihr Büro im Sozialamt zurückzuversetzen, und ging im Kopf die Gespräche noch einmal durch, die sie in den Monaten vor und nach Elias’ Tod mit Jenny Lister geführt hatte. Sie versuchte, eine Antwort auf den neuen Mord zu finden, eine Antwort, bei der sie selbst keine Rolle spielte.
Jennys Büro im Amt war klein gewesen. Eine Wand war über und über bedeckt mit Bildern und Zeichnungen der Kinder, die sie in Pflegefamilien untergebracht hatte. Bilder mit lächelnden Strichmännchen, ein großes, rosa Herz.
Molly hat Jenny lieb.
Und da waren Pflanzen, die blühten und gediehen, keine vertrockneten wie in dem Großraumbüro, das sich der Rest des Teams teilte. Wenn man in Jennys Büro kam, betrat man eine bunte, heile Welt. Man sprach dort über Elendsfälle, dennoch hatte Connie das Büro anfangs als Zufluchtsort betrachtet, und später dann als Beichtstuhl. Doch was ihre Sünden anging, da hatte sie schon als Kind gelogen.
«Erzählen Sie mir von Michael Morgan.» Jenny hatte ermutigend gelächelt. Die Besprechung fand am Tag statt, nachdem Morgan angeboten hatte, bei Mattie und dem Kleinen auszuziehen. Sie saßen einander auf bequemen Stühlen gegenüber, zwischen sich den kleinen Couchtisch. Natürlich gab sich Jenny bei Besprechungen in ihrem Büro immer sehr zugänglich. Sie schätzte es nicht, auf die Hierarchie zu pochen und beim Gespräch mit den Mitarbeitern hinter dem Schreibtisch sitzen zu bleiben.
Und Connie legte etwas überhastet los, weil sie Jenny nur ungern erzählen wollte, dass sie dem Mann im Grunde nur zweimal begegnet war. Einmal ganz kurz, nachdem er gerade eingezogen war, als er ihr stumm und intensiv vorgekommen war, weshalb sie ihn dann als «seltsam» bezeichnete; und später bei jenem letzten Mal, als er angeboten hatte auszuziehen. Wenn sie Mattie besuchte, hatte sie absichtlich Zeiten gewählt, zu denen er nicht da war. Angeblich, weil sie glaubte, dass Mattie offener mit ihr reden würde, wenn Morgan nicht in der Nähe war, aber in Wahrheit machte er Connie einfach nervös. Wenn er im Zimmer war, spürte sie, dass sie keine Kontrolle mehr über die Situation hatte.
Sie fing mit einer Entschuldigung an. «Natürlich versuche ich, Mattie sooft es geht allein zu sehen. Ich glaube, dass sie wirklich völlig unter seinem Einfluss steht.»
«Aber Sie müssen doch einen Eindruck gewonnen haben!» Jenny runzelte die Stirn. Ihr Stirnrunzeln vermittelte dem Teammitglied, das gerade vor ihr saß, das Gefühl, dass sie ein wenig enttäuscht war, dass ihr Gegenüber ihre strengen Maßstäbe nicht hatte erfüllen können.
«Er ist charismatisch.» Die Worte waren Connies Mund entschlüpft, ohne dass ihr ganz klar war, was sie eigentlich bedeuteten. Aber als sie einmal ausgesprochen waren, wusste sie, dass sie stimmten. Sie
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