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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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bremste – fast als wäre er ihr Gewissen.
    «Connie hat gesagt, dass Jenny sich mit Michael Morgan getroffen hat», sagte Vera. Ihre Stimme blieb ganz ruhig. Sie wollte nicht, dass Ashworth es für eine Überreaktion hielt. «Anscheinend wollte sie den Mann selbst mal in Augenschein nehmen.»
    «Sie glauben, dass Lister eine Affäre mit Morgan hatte?» Er klang überrascht und ungläubig.
    «Ich bin für jeden Gedanken offen», sagte sie. «Aber wenn der Kerl sie umgebracht hat, dann kriege ich ihn.»
     
    Tynemouth war eine hübsche kleine Stadt mit einer breiten Hauptstraße und prächtigen Häusern im georgianischen Stil. Es gab ein Schloss und ein Kloster, beides Ruinen. Man sah Teashops und Läden mit Abendkleidern, und an einer Ecke stand eine umgebaute Kirche, die
The Land of Green Ginger
hieß und in der es Antiquitäten, Bücher und ausgefallene Kinderkleidung zu kaufen gab. Abends zogen die Bars und Restaurants viele junge Leute an, doch um diese Tageszeit, so früh im Jahr, waren hier vor allem ältere Damen unterwegs und Pärchen in mittlerem Alter, die Hand in Hand einen Schaufensterbummel machten. Die gleiche Klientel, dachte Vera, wie im Willows-Fitness-Club.
    Sie fanden Morgans Haus in einer schmalen Straße mit Reihenhäusern, gleich gegenüber der Strandpromenade. Auf einem edlen Messingschild neben der frischgestrichenen Tür stand in dezenten Buchstaben
Tynemouth Akupunktur
. Offenbar lebte er in der Wohnung im ersten Stock. Das Fenster stand offen, und Musik klang heraus. Wenn man das denn Musik nennen konnte. Irgendwas monoton Elektronisches. Die Praxis war geschlossen.
    Vera klingelte, und schließlich hörten sie leichte Schritte auf nacktem Boden. Sie hatte Morgan erwartet, aber die Tür wurde von einer jungen Frau aufgemacht, die fast noch ein Mädchen war. Lange, glatte, dunkle Haare, ein winziges, bedrucktes Kleidchen über Leggins, flache Ballettschuhe. Das Kleidchen war weit und fiel locker, gut möglich, dass es eine frühe Schwangerschaft verdeckte.
    «Können wir mit Michael Morgan sprechen?»
    Das Mädchen lächelte. «Tut mir leid, er ist gerade beschäftigt, aber ich könnte einen Termin für Sie ausmachen.» Sie sprach, als wäre es eine große Gnade, den Mann sehen zu dürfen. Besser gebildet und nicht so labil wie Mattie, aber ein ähnlicher Typ, urteilte Vera. Zerbrechlich und unbedarft.
    «Dann ist er also zu Hause?»
    «Michael meditiert gerade», sagte das Mädchen. «Wenn er meditiert, darf er nicht gestört werden.»
    «So ein Quatsch.» Vera strahlte sie an. «Wir sind von der Polizei, Herzchen, und ich weiß, dass es ihm ein Vergnügen wäre, uns bei unseren Ermittlungen behilflich zu sein.» Sie bedeutete Ashworth mit einem Nicken, an ihr vorbei die Treppe hochzugehen. «Wie heißen Sie denn eigentlich?»
    «Freya.» Jetzt wirkte sie wie ein Schulmädchen. «Freya Adams.»
    «Mit Ihnen müssen wir nachher auch noch sprechen. Aber jetzt seien Sie doch ein gutes Kind und verschwinden Sie für ein halbes Stündchen. Kaufen Sie sich eine Limo und eine Tüte Chips, und wir treffen Sie dann wieder hier.» Vera machte die Tür zu und ließ das Mädchen auf dem Bürgersteig stehen. Vielleicht, dachte sie, hätte sie etwas taktvoller sein können. Manchmal verleitete das Adrenalin sie dazu, sich verschmitzter und gewitzter zu geben, als es gut war.
    Offenbar hatte man in der Wohnung die Wand zwischen zwei Zimmern eingerissen und so einen langen, schmalen Raum mit Fenstern zu beiden Seiten geschaffen. Das obere Treppenende führte Vera direkt ins Zimmer. Die Böden waren abgeschliffen und versiegelt worden und glänzten honigfarben. Vor den Fenstern hingen dünne Musselinvorhänge und an den Wänden Teppiche in Gold und Safrangelb, die einzigen Möbel waren ein Futon und ein niedriges Tischchen, und eine Wand wurde ganz von Bücherregalen verdeckt. Die Musik kam aus einer Anlage auf einem der Regale. «Kann man das ausschalten?» Es schadete nie, sofort deutlich zu machen, wer hier das Sagen hatte, und dieses permanente Geheule weckte in ihr den Wunsch loszuschreien. Dann war es still.
    Morgan und Ashworth standen in ein Gespräch vertieft vor einem Fenster, das auf einen kleinen Garten an der Rückseite des Hauses hinausging. Vera hatte einen feindseligen Empfang erwartet: Sie selbst hätte es tierisch genervt, wenn zwei Fremde einfach so in ihr Haus spaziert wären und sich derart aufgeplustert hätten. Morgan aber wirkte bloß belustigt. In Fleisch und Blut sah er besser

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