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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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ihre Überzeugung, immer und überall recht zu haben, wären ihr wohl auch aufgestoßen. Vera hatte den Eindruck, dass Jenny, die doch anscheinend alle bewundert und respektiert hatten, eine Menge heimlicher Feinde gehabt haben könnte. Ein Buch, in dem sie die Unzulänglichkeiten ihrer Schützlinge und Kollegen bloßgestellt hätte, hätte ihr sicher noch mehr Gegner eingebracht. Connie beispielsweise wäre ganz bestimmt darin aufgetaucht. Sie hatte ohne jeden Zweifel ein Interesse daran, dafür zu sorgen, dass Jennys Werk niemals veröffentlicht wurde.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel Dreiundzwanzig
    Vera parkte auf der Hauptstraße des Dorfs und machte sich auf die Suche nach etwas zu essen. Der Pub hatte geöffnet, und sie spürte die Verlockung, aber sie wusste, wie schnell sich solche Sachen in kleinen Orten herumsprachen: Diese dicke Kommissarin hat schon zu Mittag Alkohol getrunken. Und davon abgesehen, brauchte sie mehr als eine Tüte Chips, und etwas anderes gab es da vermutlich nicht. Während sie die Straße hinunterging, schimpfte sie am Telefon auf Ashworth ein. «Listers Handtasche. Die ist immer noch nicht aufgetaucht. So ein großes, rotes Ding aus Leder, das sie als Aktentasche benutzt hat.» Dabei wusste sie, dass es keinen Zweck hatte, ihn anzuschreien, denn das ganze Team hatte die Tasche schon oben auf der Liste stehen und der Großteil der Polizei Northumbria suchte bereits danach. Ihr Blutzuckerspiegel war im Keller, und da wurde sie immer patzig. «Können wir uns bei Danny Shaw zu Hause treffen? Ich dachte mir, es wird langsam Zeit, dass ich mal mit ihm rede.»
    Sie entdeckte den
Tyne Teashop
und beschloss, dass der jetzt genau das Richtige war. Die Fenster gingen alle auf den Fluss hinaus, und der Raum war in ein sanftes, grünes Licht getaucht, das von den Bäumen und dem glitzernden Wasser auf der überschwemmten Wiese kam. Die meisten Tische waren besetzt. Ältere Paare: hauptsächlich dicke, herrische Frauen und magere, verdruckste Männer. Ihr hättet weiterarbeiten sollen, Herzchen, dachte sie und empfand Mitleid mit den Männern. Jede Wette: Dass das Frührentnertum so aussehen würde, hättet ihr euch nicht träumen lassen – den Chauffeur für die Frau spielen und eimerweise Tee trinken.
    Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit der hausgemachten Cornedbeef-Pastete zu und überlegte, wo Jenny Listers Handtasche wohl abgeblieben sein konnte. Hatte ihr Mörder sie aus dem Schließfach genommen? Bedeutete das, dass sie des Tascheninhalts wegen umgebracht worden war: wegen der Notizen für das Buch, das sie schreiben wollte? Und was war seitdem mit der Tasche geschehen? Eine so solide Tasche zu vernichten war sicher nicht einfach, obwohl man die Papiere darin natürlich verbrennen konnte. Sie schüttelte den Kopf und ging zu ihrem Baiser über, das mit Sahne gefüllt und mit Schokoladenraspeln bestreut war. Es war außen knackig und in der Mitte noch ein ganz klein wenig feucht und kam der Vollkommenheit so nahe, wie es einem Gebilde aus dem Bereich der Kunst nur irgend möglich war. Die Handtasche lag vermutlich – zusammen mit dem Notizbuch – irgendwo auf dem Müll und würde nie wiederauftauchen.
     
    Vor dem Haus der Shaws wartete Joe Ashworth bereits auf sie, und sie stieg zu ihm in den Wagen, um sich mit ihm abzusprechen, bevor sie hineingingen. Das Haus sah imposanter aus, als sie erwartet hätte, ein ausgebautes Cottage mit einem kleinen Obstgarten an der Rückseite. Wenn man es in die Berge hätte versetzen können, hätte es ihr selbst ganz gut gefallen. Es stand auf halber Strecke zwischen Barnard Bridge und dem Willows in einem Tal am Rande eines Weilers inmitten alter Bäume.
    Sie deutete mit dem Kinn auf das Cottage. «Ich dachte, Sie haben gesagt, dass die Shaws nach der Rezession einiges durchgemacht hätten.»
    «Ist wahrscheinlich bis unters Dach mit Hypotheken belastet», sagte er. «Vielleicht betrachten sie es ja als Vermögenswert, den man nicht aufgeben sollte. Aber deswegen hat die Mutter ja auch den Job im Willows angenommen.»
    «Ist sie jetzt bei der Arbeit?»
    «Ich denke schon.»
    Als sie aus dem Auto stiegen, brach aus den Bäumen ein ohrenbetäubendes Vogelgezwitscher auf sie herein, das allmählich den Soundtrack zu diesem Fall abzugeben schien. Sie bemühte sich, nicht hinzuhören, weigerte sich, den Test ihres Vaters zu absolvieren. Der Garten war verwildert; der Rasen war in diesem Frühjahr noch nicht gemäht worden, und zwischen den

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