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Seelentod

Seelentod

Titel: Seelentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Pflastersteinen des Torwegs lugte Unkraut hervor. In einer Ecke sah man die Überreste eines hastig gemachten Feuers. Vielleicht hatten sie früher ja einen Gärtner gehabt, der einmal die Woche gekommen war, aber der gehörte wohl zu den Ausgaben, die gestrichen worden waren. In der Nähe des Hauses hörten sie Musik.
    «Bingo!», sagte sie. «Wir sind nicht umsonst hergekommen.»
    Danny saß auf einer Steinterrasse, auf dem Tisch neben ihm stand ein tragbarer CD -Spieler. Er hatte die Beine ausgestreckt, seine Füße ruhten auf einem zweiten Gartenstuhl aus Holz, und auf seinem Schoß lag ein aufgeschlagenes Buch. Mit dem Schriftbild nach unten, allerdings. Obwohl sein Gesicht von ihr abgewandt lag, spürte sie, dass er schlief. Die Sonne war noch nicht sehr warm, und er trug einen großen grauen Pullover, hatte das Kinn in den Kragen gebettet.
    «Man muss das Beste aus dieser Jahreszeit herausholen, nicht wahr?» Vera lehnte sich an den Tisch, der unter ihrem Gewicht schwankte. Der Junge gab keine Antwort.
    Sie verspürte einen Anflug von Wut. Aufgeblasener kleiner Mistkerl. Selbst wenn er schlief, die Frage hätte ihn aufwecken müssen.
    «Sprich mit mir, Bürschchen!»
    Immer noch keine Antwort. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie begriff, was passiert war. Sie streckte die Hand aus, um nach dem Puls zu fühlen, und spürte kaltes, totes Fleisch unter ihren Fingern, aber sie glaubte es immer noch nicht. Sie schob ihm die Augenlider hoch, sah die roten Pünktchen im Weiß seiner Augen, krempelte den breiten Kragen seines Pullovers herunter und erblickte den Streifen um seinen Hals. Und erst da traf die Erkenntnis, dass auch Danny Shaw umgebracht worden war, sie wie ein Boxhieb in die Eingeweide. Erdrosselt, auf die gleiche Weise wie Jenny Lister. Und für diesen Tod war sie verantwortlich, sie hatte versagt. Die Musik aus dem CD -Spieler hämmerte ihr in den Ohren, verhöhnte sie, übertönte das Gezwitscher der Vögel. Trotzdem hütete sie sich davor, das Gerät anzufassen. Auf dem flachen Plastikschalter befand sich womöglich der Teil eines Fingerabdrucks. Aber der Lärm machte sie verrückt, und sie entfernte sich, ging zurück zur Straße und riss sich gerade so weit zusammen, dass sie Joe zurufen konnte: «Bleiben Sie da. Ich fordere die anderen an.»
    Während sie neben dem Wagen stand und auf die Spurensicherung wartete, den ganzen Zirkus von Experten, die sich bei einem Mord zusammenrotteten wie Raubvögel über einem toten Schaf, wünschte sie sich das erste Mal seit zehn Jahren, sie würde noch rauchen. Sie hatte Danny Shaw nicht gekannt, aber sein Tod ging ihr näher als irgendein anderer Mord, mit dem sie bisher befasst gewesen war. Sie hatte sich in diesem Fall treiben lassen. Es war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass es einen zweiten Mord geben könnte. Jetzt rasten ihr die Gedanken durch den Kopf. Warum war Danny Shaw umgebracht worden? Hatte er etwas gesehen? Hatte er etwas gewusst?
    Auf der Straße hörte man ein Auto kommen. Vera hatte eigentlich die örtlichen Polizisten erwartet, die den Tatort absichern würden, doch es war ein kleiner grüner Wagen, und darin saß Dannys Mutter.
    Karen Shaw war wie der Blitz aus dem Auto. «Kann ich Ihnen helfen?» Angriffslustig, sogleich bereit, einen Streit vom Zaun zu brechen, weil sie dachte, Vera sei gekommen, um ihren Sohn in die Mangel zu nehmen. Was sie natürlich auch war. Dann schien sie Veras Stimmung zu spüren. Sie stand mitten auf der Straße. «Was ist passiert? Wo ist mein Sohn?»
    Vera fiel nichts ein, was sie hätte antworten können. Und bevor sie die Frau aufhalten konnte, hatte Karen das Haus aufgesperrt und rannte durch die Zimmer, wobei sie nach ihrem Sohn rief.
    Als Vera sie einholte, war sie schon durch das Esszimmer in den Garten gelaufen, und Joe Ashworth hielt sie im Arm. Sie war sehr klein; ihr Kopf reichte ihm gerade bis zur Brust. Er hielt sie fest und ließ sie schluchzen. Vera stand da und sah zu, hilflos, nutzlos. Wenigstens war die CD zu Ende, und die Musik war aus.
     
    Später saßen die drei im Wohnzimmer einer entlegenen Nachbarin. Karen hatte ihr Haus nicht verlassen wollen, aber Joe hatte es ihr erklärt. «Wir dürfen die Spezialisten nicht bei der Arbeit behindern. Das verstehen Sie doch?» Und Karen hatte genickt, sie hatte rein gar nichts verstanden, besaß aber auch nicht mehr die Kraft zu kämpfen. Sie hatten Dannys Vater angerufen, der jetzt auf dem Heimweg war, aber Vera wollte sofort mit

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