Seelentraeume
Seide.
»Weiter.«
Noch mehr Mädchen. Kornblumenblau. Königsblau. Himmelblau.
»Langweilige Leute, die langweilige Sachen machen und langweilige Klamotten tragen«, meinte Jack.
»Blau ist in Mode.« Charlotte beobachtete Sophie. »Welche Schattierung von Hellblau steht dir am besten?«
»Ich weiß nicht, Mylady«, gab Sophie zurück.
»Gar keine«, bemerkte Jack.
Mit gewölbten Brauen sah ihn Sophie an. »Wenn ich deine Meinung wissen will, schneide ich sie dir aus dem Leib.«
»Ausnahmsweise hat er mal recht. Es wird dich überraschen, aber Männer haben meistens einen ausgezeichneten Geschmack, wenn es um Frauenkleider geht. Schau dir dein Handgelenk an. Du auch, Jack.«
Beide kehrten ihr rechtes Handgelenk nach oben. Charlotte tat es ihnen gleich. »Siehst du, wie blau die Adern in meinem und Jacks Handgelenk sind? Unsere Haut hat einen kühlen Unterton. Die Adern an deinem Handgelenk tragen wegen der warmen Untertöne deiner wunderschönen Bronzehaut eine leicht grünliche Schattierung. Kühle Farben wie Blau, Purpur oder Türkis stehen dir deshalb nicht.«
»Ich könnte Weiß tragen«, schlug Sophie vor. »Lady Renda sagt, dass Weiß immer in Mode ist.«
»Weiß ist was für Feiglinge«, erwiderte Charlotte. »Und Lady Renda ist ein Dinosaurier.«
Sophie verschluckte sich an ihrem Tee. Jack gluckste vergnügt.
»Wer Weiß sagt, meint häufig ein sehr kaltes Weiß mit kühlen Untertönen. Schwarz ist auch keine gute Idee. Jack würde wegen seiner kühleren Hautfarbe in Schwarz sehr gut aussehen, du aber nicht. Richards Hautfarbe gleicht deiner, und er trägt Schwarz. Obwohl er ein sehr gut aussehender Mann ist, passt die Farbe nicht recht zu seiner Haut, er wirkt dadurch nur bedrohlicher. Reines Weiß ist eine neutrale Farbe – darin sieht jeder gut aus, aber daran ist nichts Gewagtes, kein Stilempfinden. Wer Weiß trägt, kann ebenso gut verkünden, dass er auf Nummer sicher geht. Aber das tun wir nicht. Wir wollen einen Standpunkt klarmachen.« Charlotte fuhr mit der Hand über den Kristall, um ihn wieder zu aktivieren. »Farbkreis, Stufe zwölf.«
Über dem Bildgeber erschien ein komplexer Farbkreis, in dessen Zentrum zwölf Farben leuchteten, zuerst die Grundfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett, dazwischen sechs Schattierungen. Über dem Zentrum teilte sich der Farbkreis in jeweils vier Schattierungen der zwölf inneren Farben. Während die Schattierungen in der Mitte dunkel, fast schwarz waren, schieden dünne Linien die weiteren Farben voneinander, wobei jeder Ton um eine Schattierung heller war als der vorherige, bis die Farben zum Rand hin fast in Weiß übergingen.
»Das ist deine Geheimwaffe. Erinnerst du dich noch an das erste blaue Kleid?« Nickend wies Charlotte auf den Farbkreis. »Finde das Farbsegment.«
Sophie sah eine Sekunde lang genau hin. »Nummer sechsundzwanzig.«
»Sehr schön. Eine satte Schattierung von Kobaltblau.« Charlotte berührte die Mechanik. Der Farbkreis glitt höher, und darunter erschienen wieder die Bilder, die sie eben betrachtet hatten.
»Die gehören alle zum selben Segment«, bemerkte Sophie. »Die Farben variieren ein bisschen, gehen aber alle auf Nummer sicher.«
»Genau. Das da sind unverheiratete Mädchen, von denen man erwartet, dass sie modisch ganz weit vorne liegen. Deshalb tragen sie alle, was sie für den letzten Schrei halten. Je älter die Frau, desto leuchtender die Farbe, wobei keine etwas anderes als Blau bevorzugt – wie eine Herde Ziegen, die der Leitziege nachlaufen. Frauen dagegen, die entweder gebunden sind oder andere nicht mit ihrem Modebewusstsein beeindrucken wollen, ziehen an, was sie wollen. Das da ist die Tochter der Herzogin Ramone.« Charlotte deutete auf das vorletzte Bild, das ein großes, schlankes Mädchen zeigte. »Ihr bin ich schon mal begegnet. Wie du siehst, trägt sie Grün.«
»Schockierend!«, rief Jack aus seinem Sessel.
»Sie ist jung und noch auf dem Markt, wie man so sagt, aber weil sie mutig und hoch angesehen ist, kann sie tun und lassen, was sie will. Außerdem weiß sie, dass Blau ihr nicht steht. Wenn du dir ihr Kleid allerdings genau anschaust, wirst du sehen, dass durchaus Anklänge von Blau darin vorkommen. Es geht darum, sich den gegenwärtigen Trend anzueignen, ohne ihm nachzulaufen.«
»Albern«, meinte Jack.
»Mode ist albern«, teilte Charlotte ihm mit. »Und zu neunundneunzig Prozent kommt es bei Kleidern auf die Frau an, die sie trägt. Wenn irgendwer einen hässlichen Hut
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